DGB: FĂŒr eine neue Zeit der Gestaltung

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Der GeschĂ€ftsfĂŒhrende DGB-Bundesvorstand hat am Montag in Berlin die politischen Schwerpunkte fĂŒr das Jahr 2023 vorgestellt und die aktuelle politische Lage bewertet.

Mit Blick auf die Krise infolge des schrecklichen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine verwies die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi (Foto)auf die LeistungsfĂ€higkeit des Staates und die wertvolle Kooperation von Sozial- und Tarifpartnern, durch die es gelungen sei, fĂŒr StabilitĂ€t zu sorgen und den wirtschaftlichen Absturz zu verhindern.

Zwar sei die akute Krise noch nicht ĂŒberwunden und immer noch viele Haushalte armutsgefĂ€hrdet. Umso mehr brauche es jetzt „eine neue Zeit der Gestaltung“. Es gehe darum, „den klimapolitisch zwingenden und dringenden Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft mit BeschĂ€ftigungs- und Zukunftschancen fĂŒr die Menschen zu verbinden“, so Fahimi. DafĂŒr forderte sie von der Politik ein „klares Signal, dass die Arbeits- und Lebensperspektiven der Menschen das zentrale Leitmotiv der Transformation sind“.

In einer Zeit, die den Menschen und der Gesellschaft so viele VerĂ€nderungen gleichzeitig abverlange, brauche es einen demokratischen Aufbruch, so Fahimi: „Deshalb fordern wir von der Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan zur Steigerung der Tarifbindung. Wir wollen, dass sich die Bundesregierung dem Ziel verpflichtet, die Tarifbindung wieder auf mindestens 80 Prozent anzuheben.“

Zu den absolut unverzichtbaren Voraussetzungen einer erfolgreichen Transformation gehöre außerdem ein ausreichendes Maß an bezahlbarem Strom aus Erneuerbaren Energien. „Dem Klima reichen nicht Ausstiegsaktivisten; was wir brauchen, sind viel mehr Einstiegsaktive“, so Fahimi. Der DGB werde das Jahr fĂŒr Praxis-Checks vor Ort nutzen, um zu analysieren, woran der Ausbau in bestimmten Regionen scheitert.

Ein leistungsfĂ€higer Staat sei vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Transformation wichtiger denn je – und trotzdem zeigten sich die Belastungsgrenzen der öffentlichen Daseinsvorsorge gerade ĂŒberall. Fahimi forderte „die Revitalisierung staatlicher HandlungsfĂ€higkeit und Investitionen in das Sicherheitsversprechen des Sozialstaates“. 2023 mĂŒsse das Jahr werden, „in dem die Weichen fĂŒr soziale und wirtschaftliche Resilienz gestellt werden“, so die DGB-Vorsitzende.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack forderte eine langfristig angelegte Personalplanung fĂŒr den öffentlichen Dienst. „An vielen Stellen fehlt Personal, eine zeitgemĂ€ĂŸe Ausstattung oder flĂ€chendeckend funktionierende IT“, sagte Hannack. Weil in den nĂ€chsten Jahren ein Drittel der BeschĂ€ftigten der Branche in den Ruhestand geht, mĂŒsse dringend gegengesteuert werden. „Wer mehr Personal will, muss auch gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung bieten“, betonte sie angesichts der anstehenden Tarif- und Besoldungsrunde von Bund und Kommunen. 

Adressiert an die Bundesregierung sagte Hannack, Gleichstellungsthemen dĂŒrften „nicht lĂ€nger stiefmĂŒtterlich“ behandelt werden. Schließlich sei die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf „der SchlĂŒssel fĂŒr eine stĂ€rkere Erwerbsbeteiligung von Frauen“ – und darauf komme es gerade jetzt in Zeiten des FachkrĂ€ftemangels an. Hannack forderte bedarfsgerechte Betreuungsangebote, „nicht nur fĂŒr die Kleinsten, sondern auch fĂŒr Schulkinder und zu pflegende Angehörige“, mehr Partnermonate beim Elterngeld und eine zehntĂ€gige, bezahlte Freistellung des Vaters rund um die Geburt eines Kindes. Überdies sollten haushaltsnahe Dienstleistungen staatlich gefördert und die Steuerklasse V abgeschafft werden.

Zu begrĂŒĂŸen sei der kĂŒrzlich von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf fĂŒr ein Weiterbildungsgesetz. Jedoch mĂŒsse dringend nachgebessert werden. Denn „leider reichen die vorgeschlagenen Instrumente nicht fĂŒr eine Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt“, sagte Hannack. Es fehle eine echte Ausbildungsgarantie mit einem individuellen Rechtsanspruch auf einen Ausbildungsplatz. Zudem mĂŒsse die mit dem Gesetz angekĂŒndigte Bildungszeit um einen echten Freistellunganspruch fĂŒr die BeschĂ€ftigten ergĂ€nzt und auch in ihrer Dauer erweitert werden. Geringverdiener sollten ĂŒberdies stĂ€rker gefördert werden, wenn sie eine Weiterbildung beginnen.

FĂŒr verstĂ€rkte staatliche Investitionen in die ZukunftsfĂ€higkeit des Landes sprach sich DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell aus. Der Staat mĂŒsse sich „massiv engagieren“, um die Energiewende mit einer klimaneutralen Industrie, mit dem Ausbau von Ladestationen, ÖPNV und Radwegen voranzubringen.  Dabei komme es darauf an, zugleich fĂŒr gute, tarifgebundene Arbeit zu sorgen. „Uns ist dabei wichtig, dass die Unternehmen staatliche Fördermaßnahmen nur dann in Anspruch nehmen können, wenn sie Standards der Tarifbindung und der Standort- und BeschĂ€ftigungsentwicklung einhalten“, betonte Körzell.

Weiterhin sei wichtig, dass die Politik sich um bezahlbaren Wohnraum kĂŒmmere. „Die Lage auf dem Mietwohnungsmarkt hat sich lĂ€ngst nicht entspannt. Die Politik muss jetzt das Ruder herumreißen und freie BaukapazitĂ€ten nutzen, um das Ziel der 100.000 Neubau-Sozialwohnungen in diesem Jahr zu erreichen. Ohne Wohnraum, ohne ausreichend sozialen Wohnungsbau steht der soziale Zusammenhalt auf der Kippe“, sagte der Gewerkschafter.

Um diese Maßnahmen zu finanzieren, mĂŒsse die staatliche Einnahmebasis gestĂ€rkt werden. „Es ist an der Zeit, die wirklichen Spitzenverdiener und insbesondere Vermögende in die Pflicht zu nehmen“, sagte Körzell. Die ausgesetzte Vermögensteuer mĂŒsse wiederbelebt und angesichts der aktuellen Krisenlasten eine zusĂ€tzliche einmalige Vermögensabgabe eingefĂŒhrt werden. Überdies brauche es einen neuen Anlauf, um die Erbschaftsteuer gerecht zu gestalten und KapitalertrĂ€ge höher zu veranlagen. Deutliche Entlastungen fĂŒr die BeschĂ€ftigten seien ebenfalls möglich: „Unser Vorschlag zur Entlastung von 95 Prozent der Zahler der Einkommensteuer liegt seit langem vor.“

Anja Piel forderte, die gesetzliche Rente zu stĂ€rken – mit einem stabilen Rentenniveau, betrieblicher Altersvorsorge und einer soliden Finanzierung. Dazu könne ein Kapitalstock beitragen. Wichtigste Grundlage sei jedoch tariflich bezahlte Arbeit: „Nach wie vor hĂ€ngen zu viele Menschen in prekĂ€rer Arbeit, Minijobs und Teilzeit fest“, kritisierte Piel. Schwarzmalerei bei der Entwicklung der Rente wies Piel mit Nachdruck zurĂŒck. „Wer den Untergang der Rentenversicherung prophezeit, handelt wider besseres Wissen. Solche Falschdarstellungen erschĂŒttern das Vertrauen in unseren Sozialstaat“. Ein höheres Rentenalter lehnte Piel ab, das sorge fĂŒr Ungerechtigkeit. „Den Sozialstaat entlastet es nicht, wenn mehr Menschen die Zeit bis zum Rentenbeginn mit Arbeitslosengeld oder Grundsicherung ĂŒberbrĂŒcken mĂŒssen“, rechnete Piel vor.

Arbeitgebern empfahl Piel, sich auf die neue Situation am Arbeitsmarkt einzustellen: „Durch den Mangel an FachkrĂ€ften wandelt sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt. FĂŒr BeschĂ€ftigte mĂŒssen sich Bezahlung und Arbeitsbedingungen verbessern, ArbeitsplĂ€tze altersgerecht gestaltet werden, Nachwuchs ausgebildet werden“, sagte Piel. Das passiere aber nicht von allein. „Es ist an der Zeit, dass Arbeitgeber Gewerkschaften die Hand reichen“, so Piel.

Menschen, die einwandern, mĂŒssen Zugang zu Guter Arbeit und Chancen zur Integration vorfinden, statt HĂŒrden bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen und AbschlĂŒsse und fehlender Willkommenskultur. Auch warnte Piel davor, „die Nachfrage nach ArbeitskrĂ€ften allein mit dem Durchlotsen von Menschen aus Drittstaaten in prekĂ€re Arbeit zu beantworten“, wie es die Bundesregierung mit der Ausweitung der Westbalkanregelung und SaisonbeschĂ€ftigung vorsehe. Mehr Menschen die Einwanderung in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen dĂŒrfe kein Ersatz dafĂŒr werden, inlĂ€ndisches FachkrĂ€ftepotential zu heben. Beides ist wichtig. Dazu gehört auch ein echter ‚Spurwechsel‘, also die Möglichkeit fĂŒr bereits bei uns lebenden Asylbewerber, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“, so Piel.

Foto (c) Susi Knoll

Text/DGB