Keine Klingel im Kreissaal: Ersatzanspruch eines Kindes mit schwerem Gehirnschaden

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Das OLG Celle hat entschieden, dass ein Krankenhaus grob fehlerhaft handelt, wenn eine Mutter kurz nach der Geburt wĂ€hrend des „Bondings“ keine Klingel in Reichweite hat.

Nach einer im Wesentlichen komplikationsfreien Geburt gab eine Hebamme der Mutter Gelegenheit, im Kreissaal mit ihrem Baby zu „bonden“, und ließ beide allein. Kurze Zeit spĂ€ter erschien der Mutter – nach ihrer Schilderung – das Baby „zu ruhig“. Nachdem sie anfangs noch gedacht habe, dass es vielleicht schlafe, habe sie sich doch gewundert, dass es sich gar nicht rege. Sie habe klingeln wollen, damit jemand nachschaue. An ihrem Bett gab es aber keine Klingel. Infolge der Geburt habe sie zunĂ€chst nicht aufstehen können. Der Hebamme fiel der Zustand des Babys deshalb erst rund 15 Minuten spĂ€ter auf. Das Kind litt zu diesem Zeitpunkt unter einer Atemdepression („Fast-Kindstod“). Trotz unverzĂŒglicher Behandlung und Reanimation fĂŒhrte dies zu einer schweren HirnschĂ€digung.

Das heute 8 Jahre alte Kind verlangt – vertreten durch seine Eltern – von dem Krankenhaus und der Hebamme aufgrund der verbleibenden GesundheitsschĂ€den ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 € sowie den Ersatz materieller SchĂ€den. Das Landgericht Hannover hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben.

Die hiergegen eingelegte Berufung hat der fĂŒr Streitigkeiten aus dem Arzthaftungsrecht zustĂ€ndige 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle mit Urteil vom 20. September 2021 zurĂŒckgewiesen, nachdem er den bereits vom Landgericht vernommenen medizinischen SachverstĂ€ndigen erneut angehört hatte (Az.: 1 U 32/20). Eine Mutter mĂŒsse in dieser Phase der zweiten Lebensstunde des Babys die Möglichkeit haben, eine Hebamme beispielsweise mit einer Klingel zu alarmieren, ohne aus ihrem Bett aufzustehen. Sie sei in dieser Phase nicht stets in der Lage, selbststĂ€ndig das Bett zu verlassen, um Hilfe zu holen.

Dass eine solche Alarmierungsmöglichkeit hier fehlte, sei ein grober Behandlungsfehler gewesen, der einem Arzt bzw. einer Hebamme schlechterdings nicht unterlaufen dĂŒrfe. Das Krankenhaus und die Hebamme hafteten deshalb, auch wenn nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden könne, dass eine frĂŒhere Alarmierung die HirnschĂ€digung tatsĂ€chlich verhindert hĂ€tte oder diese geringer ausgefallen wĂ€re.

Der Senat hat eine Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen, weil der Fall insbesondere keine Rechtsfragen von grundsĂ€tzlicher Bedeutung aufwerfe. Hiergegen haben sich die Beklagten mit einer Beschwerde an den Bundesgerichtshof gewandt, ĂŒber die dort noch nicht entschieden ist. Sofern das Urteil rechtskrĂ€ftig wird, steht abschließend fest, dass dem Kind ErsatzansprĂŒche zustehen. Deren Höhe wĂ€re allerdings gegebenenfalls noch durch das Landgericht Hannover zu klĂ€ren.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Celle v. 24.11.2021