DJIR-SARAI-Interview: Ich erwarte, dass es 2025 eine Nullrunde beim BĂŒrgergeld gibt.

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FDP-GeneralsekretĂ€r Bijan Djir-Sarai (Foto) gab „n-tv.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Volker Petersen:

Frage: Herr Djir-Sarai, wir treffen uns wĂ€hrend der verspĂ€teten Haushaltswoche. Sind Sie einfach nur froh, wenn dieser Haushalt endlich verabschiedet wird?

Djir-Sarai: Ich bin tatsĂ€chlich froh, dass eine Einigung unter Einhaltung der Schuldenbremse erzielt wurde. Ich sehe das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nach wie vor als eine BestĂ€tigung der Notwendigkeit einer soliden Finanzpolitik. Das ist eine Chance und wird auch fĂŒr die nĂ€chsten Bundeshaushalte Folgen haben.

Frage: HĂ€tten Sie, rĂŒckblickend betrachtet, lieber doch nicht die Beihilfe fĂŒr den Agrardiesel gestrichen?

Djir-Sarai: Nein. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat in seiner Deutlichkeit die Mehrheit der politischen Akteure ĂŒberrascht. FĂŒr uns als FDP bedeutet dieses Urteil, die Schuldenbremse zu stĂ€rken. Nicht sie zu schleifen oder gar zu umgehen, sondern sie zu stĂ€rken. Wir haben noch immer eine hohe Inflation im Euroraum. Wir zahlen viel höhere Zinsen als in frĂŒheren Jahren. Wer in dieser Situation auf Schuldenpolitik setzt, macht einen großen Fehler.

Frage: Gerade haben die Wirtschaftsweisen, also der SachverstĂ€ndigenrat der Bundesregierung, gemeinsam gefordert, die Schuldenbremse zu lockern. Macht Sie das gar nicht nachdenklich?

Djir-Sarai: Ich nehme diese Debatten, die es im Übrigen auch in der Union gibt, zur Kenntnis. Die MinisterprĂ€sidenten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt oder auch der Regierende BĂŒrgermeister Berlins wollen die Schuldenbremse aufweichen. Offensichtlich steht die FDP mit ihrem glasklaren Bekenntnis zur Schuldenbremse allein da. Die Schuldenbremse ist kein Selbstzweck. Sie verhindert, dass kommende Generationen ĂŒberlastet werden und sorgt dafĂŒr, dass unser Wohlstand gewahrt bleibt.

Frage: Aber wenn die Wirtschaftsweisen das jetzt sagen. Die sind ja nicht irgendwer. Das Gremium ist auch bewusst nach politischer Ausrichtung ausgewogen besetzt.

Djir-Sarai: Trotzdem bleibe ich dabei. Der deutsche Staat hat kein Einnahmeproblem. Die Ausgaben sind das Problem. Da mĂŒssen wir ran. Solide Finanzpolitik bedeutet in erster Linie Respekt vor der Leistung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. WĂŒrde man in der gegenwĂ€rtigen Lage eine Schuldenpolitik machen, wĂ€re das ein großer Schaden fĂŒr den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland.

Frage: Aber eine Investitionspolitik wĂ€re vielleicht auch ein Nutzen fĂŒr den Standort.

Djir-Sarai: Aber die haben wir, es wird ja investiert. Die Investitionen liegen sogar auf Rekordniveau. Das zeigt: Zukunftsinvestitionen und Entlastungen fĂŒr Menschen und Betriebe sind unter Einhaltung der Schuldenbremse möglich. Sollten jetzt trotzdem weitere Schulden angehĂ€uft werden, mĂŒssten wir immer mehr Steuergeld fĂŒr die Zinszahlungen aufwenden. Deutschland ist aber bereits ein Hochsteuerland. Und es gibt ja SpielrĂ€ume fĂŒr Einsparungen. Nehmen Sie das BĂŒrgergeld, das jetzt im Schnitt um 12 Prozent erhöht wurde. Diese deutliche Erhöhung mĂŒssen wir kritisch hinterfragen. Ich erwarte, dass es im nĂ€chsten Jahr eine Nullrunde beim BĂŒrgergeld gibt.

Frage: Die Steigerung war nach einem Mechanismus im System so angelegt. Das hatte mit der hohen Inflation zu tun. Es ging darum, das Existenzminimum zu gewĂ€hrleisten.

Djir-Sarai: Die Berechnungsmethode muss diskutiert werden, damit die Inflationsentwicklung nicht ĂŒberschĂ€tzt wird, wie es jetzt der Fall war. Aber die viel spannendere Frage ist doch die der sozialen Gerechtigkeit. Wird das Lohnabstandsgebot eingehalten, ja oder nein? FĂŒr uns als FDP ist ganz klar: Wer arbeitet, muss deutlich mehr haben, als jemand der nicht arbeitet. Dieser Unterschied muss im Geldbeutel spĂŒrbar sein.

Frage: Sie haben das BĂŒrgergeld doch selbst mitgestaltet. Also kritisieren Sie sich gerade selbst?

Djir-Sarai: Die Union hat das BĂŒrgergeld ĂŒber den Bundesrat auch mitgestaltet und beschlossen und ĂŒbt jetzt Kritik. Wir reden im Moment ĂŒber Schwachstellen des Systems. Das muss ja möglich sein. Ebenso wie es möglich sein muss, diese Schwachstellen zu korrigieren. Das haben wir beispielsweise bei den Sanktionen fĂŒr Totalverweigerer getan.

Frage: Sehen Sie denn jetzt das Lohnabstandsgebot als erfĂŒllt an oder nicht?

Djir-Sarai: Ich bekomme sehr viele RĂŒckmeldungen von Menschen, die mir konkrete Beispiele aus ihrem Alltag nennen. Da sind gewisse GerechtigkeitslĂŒcken erkennbar. Bei Missbrauch oder Fehlanreizen muss das System korrigiert werden. Das ist ganz klar.

Frage: Schuldenbremse und Lohnabstandsgebot sind Klassiker des ampelinternen Streits. Gerade wird auch ĂŒber das Kindergeld und den Kinderfreibetrag debattiert. Wollten Sie es nicht im neuen Jahr ganz anders machen?

Djir-Sarai: Die Frage mĂŒssen Sie nicht mir stellen.

Frage: Aber die FDP hat mit den KinderfreibetrĂ€gen angefangen und dann hat die SPD gesagt, dann mĂŒsse auch das Kindergeld steigen.

Djir-Sarai: Falsch. Das Kindergeld wurde doch schon erhöht. Wir haben die Erhöhung sogar zum 1.1.2023 vorgezogen. Die KinderfreibetrĂ€ge hingegen wurden noch nicht angepasst. Das holen wir nun nach. Dieses Vorgehen ist innerhalb der Koalition so verabredet, insbesondere mit Bundeskanzler Scholz, der offenkundig ja auch in der SPD ist. Daher ist es umso befremdlicher, dass Herr Klingbeil oder Herr MĂŒtzenich den verabredeten Fahrplan jetzt in Frage stellen.

Frage: Im Trendbarometer von RTL/ntv steht die FDP jetzt bei drei Prozent. Bereitet Ihnen das schlaflose NĂ€chte?

Djir-Sarai: Nein. Diese Werte sind keine völlig neue Situation fĂŒr meine Partei. Wir kennen das aus beinahe jeder Wahlperiode. Zur Mitte der Wahlperiode war die FDP meiner Erinnerung nach fast immer unter fĂŒnf Prozent. Trotzdem: Wir mĂŒssen da raus und wir werden da auch rauskommen. Entscheidend ist der Zustand des Landes und welche Zukunftsperspektiven wir anbieten.

Frage: Sie haben am Wochenende mit dem Europaparteitag den Wahlkampf fĂŒr die Europawahl am 9. Juni eingeleitet. Diesmal haben Sie mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine prominente Spitzenkandidatin. Sind die Zeiten vorbei, in denen man den Europawahlkampf eher so nebenbei macht?

Djir-Sarai: Es war frĂŒher leider weit verbreitet, dass die Europawahl nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Es war daher immer schwierig, die Menschen zu mobilisieren. Jetzt aber haben wir eine Situation, in der wir mit immensen Herausforderungen in Europa konfrontiert sind: die wirtschaftliche Entwicklung, die Inflation, Migration. Vor allem aber werden die Werte der EuropĂ€ischen Union infrage gestellt. Es gibt KrĂ€fte von innen und außen, die Europa schaden oder gar zerstören wollen. Daher sind jetzt alle pro-europĂ€ischen Parteien und in erster Linie auch die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger gefragt. Wir mĂŒssen Europa den RĂŒcken stĂ€rken.

Frage: Sie ĂŒben aber auch Kritik, zum Beispiel an der BĂŒrokratisierung. Machen Sie das auch, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Djir-Sarai: Klar ist: Wer will, dass Europa geschwĂ€cht wird oder dass Deutschland die EU verlĂ€sst, der schadet unserem Land massiv. Wir als FDP sind stolz auf Europa, und genau deshalb wollen wir es auch verbessern. Die Megathemen der Zeit kann man nur europĂ€isch lösen.

Frage: Wird Migration das Top-Thema sein?

Djir-Sarai: Eines der Themen, ja. Mit der Reform des Gemeinsamen EuropĂ€ischen Asylsystems hat die EU bereits einen wichtigen Schritt gemacht. Das allein reicht aber noch nicht.

Frage: Dabei geht es unter anderem darum, Asylverfahren schon an den Außengrenzen durchzufĂŒhren. Aber das ist noch gar nicht in Kraft. Kommt das zu spĂ€t fĂŒr diese Wahl?

Djir-Sarai: Die Menschen mĂŒssen sehen, dass in Europa endlich etwas in Bewegung kommt. Wir haben jetzt etwas geschafft, was der VorgĂ€ngerregierung nicht gelungen ist: eine Einigung beim Gemeinsamen EuropĂ€ischen Asylsystem, die mehr Steuerung, Kontrolle und Begrenzung ermöglicht. Diesen Erfolg mĂŒssen die Menschen nun auch in den StĂ€dten und Kommunen vor Ort spĂŒren. Wenn die Politik konkrete Probleme löst, haben Populisten keine Chance.

Frage: Migration ist aber nicht nur ein Problem, sondern auch eine Chance fĂŒr alle. Beim Dreikönigstreffen der FDP am 6. Januar haben Sie gefordert, man solle Kindern eine inlĂ€ndische und deutsche IdentitĂ€t geben. Warum ist das wichtig?

Djir-Sarai: Als meine Familie aus dem Iran fliehen musste, wurde sie auf der ganzen Welt verstreut. Von meinen Verwandten sagt heute keiner: â€žIch bin Kanadier mit Migrationshintergrund oder ich bin Amerikaner mit iranischen Wurzeln“. Die sagen ganz klar: â€žIch bin Kanadier“ oder „Ich bin Amerikaner“. Menschen mit Migrationshintergrund sollten auch in Deutschland voller Stolz sagen können: â€žIch bin Deutsche oder Deutscher“. Wir sollten als Gesellschaft nicht zulassen, dass Kinder mit einem auslĂ€ndischen Bewusstsein aufwachsen. Dabei ist ganz zentral, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich mit unserem Land und unseren Werten identifizieren. Das ist im Übrigen auch die Voraussetzung fĂŒr erfolgreiche Integration.

Frage: Wie finden Sie die EinbĂŒrgerung in Deutschland? Oft wird einem einfach nur der Pass hingeschoben und das war es dann. WĂŒnschen Sie sich da mehr Zeremoniell?

Djir-Sarai: Definitiv. Das war bei mir ĂŒbrigens auch so. Ich war 19 und hatte mir sogar extra einen Anzug gekauft, weil ich mit einer Feier gerechnet habe, so wie ich es in amerikanischen Filmen gesehen hatte. Ich bekam aber nur eine Urkunde und ein Grundgesetz in die Hand gedrĂŒckt und sollte dann an Kasse soundso die VerwaltungsgebĂŒhr bezahlen. Das war enttĂ€uschend. Die deutsche StaatsbĂŒrgerschaft zu bekommen, ist etwas ganz Besonderes. Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Bei der EinbĂŒrgerung sollte ganz klar sein, dass man Teil einer Gesellschaft wird. Da lassen wir derzeit viel liegen, um Menschen emotional zu binden.

Foto (c) FDP