FDP-GeneralsekretĂ€r Bijan Djir-Sarai (Foto) gab âwelt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:
Frage: Herr Djir-Sarai, das FDP-PrÀsidium hat beschlossen, die AttraktivitÀt der Bundeswehr als Arbeitgeber zu stÀrken. Welche Ideen haben Sie dazu entwickelt?
Djir-Sarai: Wir haben den Jahrestag der Zeitenwende zum Anlass fĂŒr eine Lagefeststellung genommen: Wo stehen wir, was wurde erreicht, und wohin soll die Reise gehen? Mit Blick auf die Bundeswehr haben wir klargestellt, dass fĂŒr uns die EinfĂŒhrung der Wehrpflicht nicht infrage kommt, wir aber andere Optionen vorschlagen, um die schwierige Personallage der StreitkrĂ€fte zu verbessern. Wir wollen die Reserve stĂ€rken, die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver machen und gesellschaftliche Akzeptanz durch Gelöbnisse an öffentlichen PlĂ€tzen steigern. Es geht um mehr Sichtbarkeit der Bundeswehr, und wir wollen auch deutlich machen, dass wir stolz sind auf unsere Soldaten.
Frage: Das sind MaĂnahmen, die in den vergangenen Jahren bereits mehrfach beschlossen wurden. WĂ€re nicht der wichtigste AttraktivitĂ€tsschub eine endlich auskömmliche AusrĂŒstung?
Djir-Sarai: Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahrzehnten unter FĂŒhrung der CDU kleingehalten. Fatalerweise gab es lange die Ăberzeugung in Teilen der Politik und auch der Gesellschaft, dass wir die StreitkrĂ€fte eigentlich nicht mehr brauchen. Der aktuelle Zustand der Truppe ist das Spiegelbild dieses falschen Denkens. Erst der brutale Angriffskrieg Russlands hat ein Umdenken bewirkt, auch bei unseren Koalitionspartnern. Deshalb bewegen wir uns jetzt endlich spĂŒrbar in Richtung des Zwei-Prozent-Ausgabenziels, nicht zuletzt dank des 100-Milliarden-Euro-Sonderprogramms. Leider ist bei der Umsetzung im ersten Regierungsjahr viel Zeit vergeudet worden. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius hat viel aufzuholen, vor allem im Beschaffungswesen und bei den verkrusteten Strukturen. Die Zeitenwende muss in den Kasernen ankommen. Aber ich möchte betonen: Am Geld liegt es nicht, das steht zur VerfĂŒgung.
Frage: Steht es nicht. Der Investitionsbedarf liegt laut Finanzbedarfsanalyse bei rund 300 Milliarden Euro bis 2032. Im Schuldenfonds der Ampel sind abzĂŒglich Zinslasten 87 Milliarden Euro. Und der Wehretat sieht abzĂŒglich Personal- und Betriebskosten jĂ€hrlich zehn Milliarden Euro fĂŒr Investitionen vor …
Djir-Sarai: Dennoch sind die 100 Milliarden Euro eine Summe, zu der sich in der Form noch keine Regierung aufraffen konnte. Und wir diskutieren ja gerade den Haushalt fĂŒr 2024. Ich sehe breite Mehrheiten dafĂŒr, die Mittel fĂŒr die Bundeswehr auf Dauer zu erhöhen. Denken wir doch mal nach vorn. Was ist denn, wenn die nĂ€chste amerikanische Administration in anderthalb Jahren sagt: Der Krieg in Europa, das ist eure Sache, wir konzentrieren uns auf China? Die Wahrheit ist: Europa ist aktuell nicht in der Lage, seine Sicherheit ohne die Amerikaner zu garantieren. Ohne die Amerikaner wĂ€re die Ukraine auch nicht in der Lage, sich so erfolgreich zu verteidigen. Das heiĂt, wir sind quasi gezwungen, langfristig mehr in die Sicherheitsarchitektur Europas zu investieren. Und da ist die Bundeswehr eine entscheidende SĂ€ule.
Frage: Pistorius will zehn Milliarden Euro mehr fĂŒr die Bundeswehr. Die FDP will zehn Milliarden fĂŒr die Aktienrente, Familienministerin Paus will zwölf Milliarden fĂŒr die Kindergrundsicherung. Wie soll das mit der Schuldenbremse gehen?
Djir-Sarai: Die Schuldenbremse ist eine Vorgabe des Grundgesetzes. Und sie ist gerade angesichts der Inflation und der Schuldenflut der vergangenen Jahre unverzichtbar. Wir haben heute im Euro-Raum eine Zinsentwicklung, die die Schuldenaufnahme wieder extrem teuer macht. Wenn wir uns weiter verschulden, geben wir unsere politische HandlungsfĂ€higkeit aus der Hand, auf Kosten von kĂŒnftigen Generationen. Und im Ăbrigen: Alles soll in diesen Zeiten nachhaltig sein, nur die Finanzpolitik nicht? Das wĂ€re absurd.
Frage: 2022 hat die Ampel die Schuldenbremse unter Verweis auf eine auĂergewöhnliche Notsituation, den Krieg in der Ukraine, ausgesetzt. Warum soll das jetzt nicht mehr gehen?
Djir-Sarai: Voriges Jahr ging es um akute KrisenbewĂ€ltigungspolitik, denken Sie an die Energiekosten. Da haben wir von unserer guten Substanz gezehrt. Im Jahr 2023 muss es wieder um die StĂ€rkung dieser Substanz gehen, wir mĂŒssen den Wirtschaftsstandort Deutschland fit fĂŒr die Zukunft machen. Unsere Koalitionspartner vergessen gern, dass erst erwirtschaftet werden muss, bevor verteilt werden kann. Ich will auch die ökologische Transformation der Wirtschaft, ich bin auch fĂŒr starke soziale Sicherungssysteme. Aber jeder ist aufgefordert in dieser Koalition, sehr konkret zu sagen, wie die entsprechenden Vorhaben finanziert werden sollen. Das Aussetzen der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen sind keine Optionen, weil sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden und nicht generationengerecht sind. Die Energiekosten sind auf einem viel höheren Niveau als vor dem russischen Angriffskrieg. Viele Unternehmen denken daher an Abwanderung. Werden die Standortkosten weiter erhöht, vernichtet das ArbeitsplĂ€tze â und damit unseren Wohlstand. Auch, weil andere Standortvorteile wie FachkrĂ€fte oder unkomplizierte Verfahren in Deutschland leider noch Mangelware sind. Es ist also nicht die Zeit fĂŒr Verteilungspolitik. Es geht jetzt um MaĂnahmen, die Wachstum generieren. Ein Kernprojekt sind beschleunigte Planungsverfahren.
Frage: Verkehrsminister Volker Wissing trifft dabei seit Monaten auf den Widerstand der grĂŒnen Umweltministerin Steffi Lemke, die StraĂenprojekte von der Beschleunigung ausnehmen will. Muss der Kanzler den Knoten durchschlagen?
Djir-Sarai: Auch die SPD-Fraktion hat Anfang des Jahres betont, dass es keine Unterscheidung in böse und gute Infrastruktur geben darf, sondern wir ĂŒberall mehr Tempo brauchen. Ich fĂ€nde es gut, wenn der Kanzler sich daran orientiert. Wir leben doch nicht in BullerbĂŒ! Deutschland ist eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, wir brauchen Schienen, Wasserwege und StraĂen, die schlicht funktionieren. Es ist doch auch nichts fĂŒr den Klimaschutz erreicht, wenn wir StraĂen langsamer bauen als nötig und die Menschen permanent im Stau stehen. Deutschland braucht MobilitĂ€t in allen Dimensionen, um wettbewerbsfĂ€hig zu sein â und keinen ideologischen Kampf gegen das Auto.
Frage: Die Regierung hat auf DrĂ€ngen der FDP jetzt den Weg fĂŒr E-Fuels in Deutschland freigemacht. Wird Deutschland auch auf EU-Ebene das Aus von Verbrennermotoren dauerhaft stoppen?
Djir-Sarai: Dass COâ-neutrale Kraftstoffe endlich erlaubt werden, ist ein groĂer Erfolg sowohl fĂŒr den Klimaschutz als auch fĂŒr die Verkehrspolitik. Das mĂŒssen wir nun auch auf EU-Ebene schaffen, und da bin ich sehr zuversichtlich. Die Debatte ĂŒber Technologieoffenheit wird auch in Italien, Polen und anderen EU-LĂ€ndern gefĂŒhrt. Klimaschutzziele mĂŒssen erreicht werden, und mit einem Totalverbot wĂŒrden wir uns selbst Chancen verbauen. Und wir wĂŒrden ArbeitsplĂ€tze und Know-how vernichten. In LĂ€ndern wie China und den USA wird es einen Wettbewerb geben um die besten grĂŒnen Umwelttechnologien. Wir sollten diesen Wettbewerb annehmen â und nicht bestimmte Technologien verteufeln, weil wir als Politik glauben, es besser zu wissen.
Frage: Die GrĂŒnen haben in dieser Woche neue Ideen fĂŒr das Verbot von Ăl- und Gasheizungen sowie fĂŒr Kinder-Werbung zu ungesunden Lebensmitteln vorgelegt. Stimmen Sie dem zu?
Djir-Sarai: Ganz klar: Nein.
Frage: Bei der Migrationspolitik lĂ€sst sich in den Ampel-PlĂ€nen ein Ungleichgewicht erkennen: Erleichterungen bei FachkrĂ€fte-Einwanderung und StaatsbĂŒrgerschaftsrecht sind auf dem Weg, bei der Unterbindung von irregulĂ€rer Migration nach Deutschland ist kein Konzept zu erkennen. Oder?
Djir-Sarai: Der SonderbevollmĂ€chtigte der Bundesregierung fĂŒr Migrationsabkommen hat kĂŒrzlich die Arbeit aufgenommen. AuĂerdem muss Europa den Grenzschutz verbessern, beispielsweise indem Frontex mehr Kompetenzen bekommt und endlich das Gemeinsame EuropĂ€ische Asylsystem reformiert wird. Wir brauchen regelrecht einen Neustart bei der Migrationspolitik in Deutschland. LĂ€nder wie die USA, Kanada oder Neuseeland fĂŒhren die Migrationsdebatte sehr sachlich und sehr nĂŒchtern. Wir machen in Deutschland leider immer den Fehler, sie hochemotional zu fĂŒhren. Ein Land muss klar festlegen, welche Formen der Migration es braucht â und welche nicht. Das muss man aussprechen können.
Frage: Na dann.
Djir-Sarai: Wir brauchen die Zuwanderung von FachkrĂ€ften, und zwar die besten Köpfe und die fleiĂigsten HĂ€nde weltweit. Da sind wir leider noch nicht attraktiv genug, daran arbeitet die Bundesregierung jetzt. Wir brauchen auf der anderen Seite keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme. Die gibt es aber leider ĂŒberproportional hĂ€ufig. Die Menschen in unserem Land sind weltoffen und tolerant. Aber sie wollen zu Recht wissen, wer zu uns kommt, sie wollen Steuerung, Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit bei der Einwanderung. Das ist das, was Politik liefern muss â und nicht die Wiederholung der katastrophalen Fehler der Merkel-Ăra.
Frage: Geschieht nicht gerade genau das?
Djir-Sarai: Die Fortschritte seit 2015 sind sehr bescheiden. Und leider hat die amtierende Innenministerin Faeser beim EuropĂ€ischen Rat vor ein paar Wochen, als es sehr konkret um die Frage der GrenzschutzfĂ€higkeit Europas ging, wieder auf der Bremse gestanden. Deutschland hat durch die AlleingĂ€nge der frĂŒheren Kanzlerin in Europa sehr viel Vertrauen verspielt. Wir tĂ€ten gut daran, jetzt mehr auf unsere Partner an den AuĂengrenzen zu hören.
Frage: Brauchen wir fĂŒr die Energiesicherheit Deutschlands weitere LaufzeitverlĂ€ngerungen fĂŒr Atomkraftwerke? Oder hat sich die FDP damit abgefunden, dass am 15. April dieses Jahres Schluss ist mit der Kernenergie in Deutschland?
Djir-Sarai: Wenn die FDP nicht wĂ€re, dann wĂ€ren die drei am Netz verfĂŒgbaren Kernkraftwerke schon lĂ€ngst abgeschaltet und wĂŒrden gar nicht bis zum 15. April laufen. Ich persönlich bin davon ĂŒberzeugt, dass das nicht reichen wird und wir weiterhin Kernenergie brauchen, bis der Ausbau der Erneuerbaren Energien ausreichend fortgeschritten ist. Ich wĂŒnschte, dass unsere Koalitionspartner auch in dieser Frage der groĂen Mehrheit der EU-LĂ€nder folgen wĂŒrden. Kein Mensch kann in Europa verstehen, warum ein Land wie Deutschland vom Instrument der LaufzeitverlĂ€ngerung auch nach Mitte April keinen Gebrauch machen will und stattdessen auf die klimaschĂ€dliche Kohle setzt â obwohl wir doch alle gemeinsam unabhĂ€ngig von russischem Ăl und Gas werden wollen. Das ist auch eine Frage der europĂ€ischen SolidaritĂ€t. Und fĂŒr die GrĂŒnen ist dieser Widerspruch ohnehin nicht zu erklĂ€ren, zumindest nicht unter Klimaschutzaspekten.
Frage: Wir wagen mal die Prognose, dass sich die FDP mit all diesen Positionen in der Ampel bestenfalls in Einzelpunkten wird durchsetzen können. Ist das der Grund, dass Sie bei den jĂŒngsten Wahlen schwere Pleiten eingefahren haben?
Djir-Sarai: Ich sehe da keinen Zusammenhang. Wir sind Teil einer Koalition, haben leider keine absolute Mehrheit bei der letzten Bundestagswahl bekommen. Also mĂŒssen wir Kompromisse machen. Als GeneralsekretĂ€r der FDP nehme ich mir aber die Freiheit, unsere Positionen klar darzustellen. Und ich bin sicher, dass wir in dieser Regierung so viel durchsetzen werden, dass wir bei der nĂ€chsten Bundestagswahl mit einer sehr guten Bilanz vor die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger treten können. Mein Ziel ist es, dass wir dann wieder ĂŒber zehn Prozent kommen. Daran können Sie mich messen.
Foto (c) FDP