KUBICKI-Kolumne: Die Krise der zivilisierten Auseinandersetzung

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Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki (Foto) schrieb fĂŒr Cicero Online folgende Kolumne:

Diese Woche hatte es politisch wirklich in sich – und zwar auf allen Ebenen. Nur ein paar Beispiele: Europapolitisch war da der Flirt der Bundesregierung mit der Chatkontrolle, einem autoritĂ€ren Plan der EU-Kommission, der noch immer nicht vollstĂ€ndig abgerĂ€umt ist. Bundespolitisch gab es Zoff in der Koalition um BĂŒrgergeld und Verbrennermotoren. Und weltpolitisch ist Frieden im Nahen Osten so greifbar wie schon lange nicht mehr geworden. Über all diese Themen ließen sich mehrere Kolumnen schreiben, aber gerade in solchen Wochen lohnt ein Blick auf die Themen, die in der allgemeinen Gemengelage untergegangen sind. So zum Beispiel der Aufruf der Linken Treptow-Köpenick gegen das Online-Medium Apollo News. Dieses habe „keinen Platz“ in ihrem Kiez. Man mĂŒsse ihnen daher „in die Tasten treten“. Der Aufruf in großen roten Lettern lautete: „Lasst uns gemeinsam Alt-Treptow fĂŒr Apollo News ungemĂŒtlich machen!“.

Dieses fĂŒr sich genommen schon unertrĂ€gliche Gehetze gegen ein Medium wĂ€re schon beunruhigend genug. Aber es kam nicht von irgendwem, sondern von einer Partei, die im Deutschen Bundestag und in mehreren Landtagen vertreten ist und an zwei Landesregierungen beteiligt ist. Ich nannte das Ganze daher nicht nur einen widerlichen und inakzeptablen Gewaltaufruf, sondern habe auf der Plattform X auch zu erkennen gegeben, dass ich eine klare Distanzierung der Bundesspitze der Linken erwarte. Eine Partei, die von allen großen Medien im Land nahezu völlig unkritisch als normale politische Kraft klassifiziert wird und die nicht nur in den LĂ€ndern Macht besitzt, was sie Friedrich Merz gerne aufs Brot schmieren, wenn er mal wieder eine verfassungsĂ€ndernde Mehrheit braucht.

NatĂŒrlich gab es keine Distanzierung aus der Linken. Stattdessen eine Breitseite gegen die Kritiker der Aktion: „Wer Apollo News verteidigt, sollte den politischen Kompass justieren“, ließ der Initiator der Kampagne, der Linken-Bezirkschef Warnke, wissen. Gemeint ist damit natĂŒrlich, dass das Online-Medium rechtskonservativ ist. FĂŒr manche Kritiker „zu rechts“, wobei ich mit dieser Kategorie nichts anfangen kann. Entweder man steht auf dem Boden der Verfassung, oder nicht. Entweder man ist rechtstreu, oder nicht. Und da spielt links, rechts, Mitte, oben oder unten einfach keine Rolle. Dachte ich zumindest, aber die Botschaft des Herrn Warnke ist zwar etwas verklausuliert, aber doch deutlich: „Seht her! Die uns kritisieren, paktieren mit den Rechten!“. Als ob EinschĂŒchterung dann ok wĂ€re, wenn einem die politische Haltung des EingeschĂŒchterten nicht passt. Das ist – ich sage es wie immer „ungefiltert“ – komplett irre. Noch irrer ist aber, dass sowohl der Vorfall als auch die Reaktion von Herrn Warnke keine große Empörung auslösten. Der Deutsche Journalisten-Verband ließ wissen, es handele sich um ein Lokalthema und man kommentiere nur Bundesthemen. Na prost Mahlzeit – wer solche Kollegen hat, braucht eigentlich keine Feinde mehr.

Woran liegt das? Ich denke, wir haben uns in jĂŒngster Vergangenheit schleichend an die Normalisierung politischer Gewalt gewöhnt. Vor kurzem haben PalĂ€stina-Aktivisten eine GeschĂ€ftsstelle der CDU in Göttingen zertrĂŒmmert und mit Parolen beschmiert. Auch hier blieb die große EntrĂŒstung aus. Und auch der Fall von Michel Friedman und dessen abgesagtem Auftritt in Nordwestmecklenburg ist hier aus jĂŒngster Vergangenheit zu nennen. Die BegrĂŒndung soll zunĂ€chst gewesen sein, dass man Protest aus der rechten Szene befĂŒrchte. Das wurde spĂ€ter bestritten, aber eine wirklich ĂŒberzeugende BegrĂŒndung wurde nie geliefert. Allein auf die Idee zu kommen, das sei ein guter und plausibler Grund, einen Publizisten auszuladen, ist schon alarmierend. Aber so scheint die Stimmungslage im Land inzwischen zu sein: Wer vermeintlich oder tatsĂ€chlich mit unbequemer Meinung auffĂ€llt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Gegenreaktionen etwas heftiger ausfallen.

Ich denke, unsere MaßstĂ€be sind hier in geradezu gefĂ€hrlicher Weise ins Rutschen geraten. Und das ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil wir vor einem Jahr noch recht viel Berichterstattung zu Gewaltdelikten vor allem gegen die GrĂŒnen hatten. Wobei ein nĂ€herer Blick hierbei prĂ€zisierte, dass die GrĂŒnen sich vor allem bei Beleidigungsdelikten und Ähnlichem besonders betroffen fĂŒhlen konnten. Bei tatsĂ€chlicher Gewalt waren vor allem Vertreter der AfD besonders betroffen. Ein Umstand, der schon damals zu wenig Beachtung fand. Dabei geht es ja keineswegs darum, irgend eine politische Richtung zu MĂ€rtyrern oder Ähnlichem zu stilisieren. Sondern es geht um die eigentlich recht einfache Frage: Tolerieren wir Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung? Nein? Sehr gut!

Die Anschlussfrage lautet aber: Tolerieren wir sie bei manchen etwas mehr, weil wir finden, der oder die Angegriffene habe es irgendwie verdient? Diese Frage wird nicht mit dem gleichen entschlossenen Nein beantwortet, und darin liegt das Problem. Eine rote Linie ist eine rote Linie, und die sollten wir schleunigst wieder ziehen, wo offen oder verdeckt mit Gewalt gegen Andersdenkende kokettiert wird.

Wenn bestimmte Veranstaltungen nur noch mit Polizeischutz möglich sind, wenn Podien aus Angst vor Randalen abgesagt werden, wenn Menschen wegen ihrer Meinung sich nicht mehr ohne PersonenschĂŒtzer bewegen können, steht der liberale Kern unserer Gesellschaft in Frage.

Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter des Streits. Ich halte ihn fĂŒr ĂŒberlebensnotwendig in einer funktionierenden Demokratie. Das meint aber nur den zivilisierten Streit in Rede und Gegenrede.

Meine rote Linie ist dabei deutlich frĂŒher gezogen als bei vielen, die sich weniger streitlustig als ich und vermeintlich konsensorientiert prĂ€sentieren. Nie wĂŒrde ich etwa auf die Idee kommen, Menschen, die mir politisch nahestehen, im Zorn auf einen politischen Mitbewerber vor dessen GeschĂ€ftstellen zu schicken, wie es Linke und GrĂŒne im vergangenen Wahlkampf in der Auseinandersetzung um das Zustrombegrenzungsgesetz getan haben. Derartige Machtdemonstrationen unter politischen Mitbewerbern sind nicht nur unnötig, sondern sie offenbaren die eigene SchwĂ€che. Denn politische Macht sollte in einer Demokratie aus der StĂ€rke des Arguments erwachsen. NatĂŒrlich auch laut und pointiert vorgetragen. NatĂŒrlich auch auf Demonstrationen und Versammlungen. Aber doch bitte nicht, um den Gegner einzuschĂŒchtern.

Ganz Deutschland hielt fĂŒr einen Moment den Atem an, als die abscheuliche Gewalttat gegen die frisch gewĂ€hlte BĂŒrgermeisterin aus Herdecke publik wurde. Der Fall schlug wohl auch deswegen so hohe Wellen, weil die Mehrheit ein politisches Motiv fĂŒr ĂŒberwiegend wahrscheinlich hielt. Das ist der Zustand der politischen Kultur in Deutschland. Es gibt in einer freien Gesellschaft nie absolute Sicherheit, aber wir haben es ein StĂŒck weit doch selbst in der Hand, indem wir wenigstens versuchen, den Maßstab fĂŒr das, was uns empört, wieder etwas zu finden.

Eine so offene EinschĂŒchterung, inklusive Vertreibungsfantasien Andersdenkender aus bestimmten Stadtteilen, wie wir es von den Linken in Treptow erleben mussten, ist inakzeptabel, sie ist verachtenswert, und es ist eine Schande, dass eine im Bundestag vertretene Partei nicht den Anstand besitzt, sich von so etwas zu distanzieren.

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Quelle: Freie Demokratische Partei

Foto: Wolfgang Kubicki © Laurence Chaperon