KUBICKI-Interview: Chatkontrolle ist Einfallstor für vollständige staatliche Überwachung

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Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki (Foto) gab „nzz.ch“ (Mittwoch) das folgende Interview. Die Fragen stellte Elke Bodderas:

Frage: Herr Kubicki, sind Sie schon einmal abgehört worden?

Kubicki: Ja, weil einer meiner Mandanten abgehört wurde. Die Abhörprotokolle unserer Telefonate fand ich in seiner Akte. Das ist illegal, ich habe mich dann bei der Generalstaatsanwaltschaft beschwert, die sofort versprach, alles zu löschen und nichts zurückzubehalten. Was man dann glauben muss.

Frage: Schon heute können europäische Regierungen auf Smartphonekameras und -mikrofone zugreifen. In Zukunft wären Beamte auch beim Chatten über die intimsten Geständnisse mit dabei.

Kubicki: Die Chatkontrolle führt dazu, dass Algorithmen die Nachrichten vor dem Versenden auf bestimmte Schlagwörter hin scannen. Das beträfe nicht nur Privatleute, Journalisten, Redaktionen, sondern auch Berufsgeheimnisträger, Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer. Das wäre ein massives rechtsstaatliches Problem. Das Ergebnis wäre eine vollständige Überwachung, ich denke nicht, dass das zulässig ist.

Frage: Die EU will die Kinderpornografie in den Griff bekommen. Private Chats sollen auf verdächtiges Material hin durchleuchtet werden. Die Verschlüsselung bliebe erhalten, ist das nicht akzeptabel?

Kubicki: Das ist nur ein vermeintlich gesellschaftlich akzeptabler Vorwand, um flächendeckende Überwachungsmassnahmen durchzusetzen. Betroffen sind explizit auch die weiter verschlüsselten Inhalte. Deutschland darf diesem Angriff auf die Bürgerrechte nicht zustimmen. Wenn der Staat Massnahmen umsetzen will, die verfassungsrechtlich problematisch sind, geht es immer um Kinderpornografie, Terrorismusfinanzierung oder Geldwäsche. Aber wenn Sie sich einmal anschauen, wie massiv allein der Geldwäschetatbestand seit 2021 ausgeweitet worden ist …

Frage: …Bis dahin war die Strafverfolgung nur bei einem speziellen Vorstrafenregister möglich. Jetzt reichen sämtliche Straftaten aus, egal, ob Betrug oder der Diebstahl einer Tafel Schokolade.

Kubicki: Das zeigt, dass die Chatkontrolle ein Einfallstor für eine vollständige staatliche Überwachung ist. Ein Beispiel: Bei einer meiner Verteidigungen ging es um ein Fitnessstudio, das im Verdacht stand, Drogenumschlagplatz zu sein. Der Trainer hatte am Telefon gesagt, er wolle beim Bäcker Streuselkuchen besorgen. Die Polizisten, die mithörten, fassten die Bemerkung als Drogenbestellung auf, «Streuselkuchen» galt als Synonym für Heroin. Bei der anschliessenden Razzia fanden die Beamten: nichts. Es ist doch albern, zu glauben, dass Pädophilennetzwerke keine alltagstauglichen Synonyme für Kinderpornografie finden.

Frage: EU-Gerichte haben mehrfach die Vorratsdatenspeicherung verboten. Wie könnte eine staatliche Kontrolle sämtlicher digitaler Kommunikations-Apps rechtlich Bestand haben?

Kubicki: Wenn es technisch nicht gelingt, Berufsgeheimnisträger oder Journalisten von dieser Regelung auszunehmen, glaube ich nicht, dass die Chatkontrolle juristisch Bestand hat. Sonst bleibt nichts vertraulich, alles wird mitgehört, egal, ob Gespräche zwischen Journalisten und Informanten oder zwischen Anwalt und Mandant. Polizisten ist es verboten, Telefonate zwischen Anwalt und Mandant abzuhören, sie müssen sich ausklinken. Kaum vorstellbar, dass eine Chatkontrolle hier differenzieren kann. Damit wäre die Regelung verfassungs- und europarechtlich wohl nicht haltbar.

Frage: Der deutsche Nachrichtendienst klagt, er habe nicht genug Befugnisse und sei auf die Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Die Welt befindet sich im Umbruch. Ist die Chatkontrolle der Preis, den wir für mehr Sicherheit zahlen müssen?

Kubicki: Das wäre das Gegenteil eines freiheitlichen Rechtsstaats. Ich hatte einmal einen Mandanten, der wegen Spionageverdachts angeklagt war. Mit dem bin ich im Wald spazieren gegangen, weil wir nicht sicher sein konnten, ob jemand mithört, möglicherweise auch aus dem Ausland. Das ist doch kein Zustand. Sollte jemals eine autokratische Partei wie die AfD die Macht übernehmen oder die parlamentarische Mehrheit, brauchte sie keine Gesetze mehr zu ändern, um derartige Kontrollinstrumente dann konsequent gegen die andere Seite zu verwenden. Gott bewahre uns davor.

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Quelle: Freie Demokratische Partei am 08. Oktober 2025

Foto: Wolfgang Kubicki © Laurence Chaperon