BundestagsprÀsidentin Bas dringt auf baldige Grundsatzentscheidung zur Begrenzung der Abgeordnetenzahl

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BundestagsprĂ€sidentin BĂ€rbel Bas (SPD) dringt in der Debatte um eine Begrenzung der Abgeordnetenzahl des Parlaments auf baldige VorschlĂ€ge der Kommission zur Reform des Wahlrechts. Soweit es um die GrĂ¶ĂŸe des Bundestages gehe und um die Frage eines Neuzuschnitts von Wahlkreisen, mĂŒsse es spĂ€testens Anfang nĂ€chsten Jahres zu einer Grundsatzentscheidung kommen, sagte Bas der Wochenzeitung „Das Parlament“. Ansonsten gĂ€lte die aktuelle Gesetzeslage, dass die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 reduziert werden soll. Sie höre, dass es in der Wahlrechtskommission einen breiten Konsens gebe, bei 299 Wahlkreisen bleiben zu wollen. Dann mĂŒsse es aber auch spĂ€testens Anfang 2023 eine Entscheidung dazu geben. 

„Wir mĂŒssen zwingend wissen, ob die Wahlkreise neu zugeschnitten werden mĂŒssen“, fĂŒgte Bas hinzu. Denn dies  wĂ€re ein lĂ€ngerer Prozess, der rechtzeitig vor der Wahl rechtskrĂ€ftig abgeschlossen sein mĂŒsse. Sie erwarte daher baldige Klarheit zum Wahlverfahren. Auch mĂŒsse man damit  rechnen, dass das neue Wahlgesetz gerichtlich ĂŒberprĂŒft wird. Darum meine sie, dass man jetzt zĂŒgig zu den nötigen Entscheidungen kommen mĂŒsse. 


Das Interview im Wortlaut:

„Das Parlament“: Frau PrĂ€sidentin, Sie stehen jetzt seit einem Jahr an der Spitze des Bundestages. In diesem Jahr scheint sich so ziemlich alles verĂ€ndert zu haben, ausgelöst vom russischen Krieg gegen die Ukraine. Sehen Sie vor den unzĂ€hligen Herausforderungen eine besondere Aufgabe auch fĂŒr das zweithöchste Amt im Staat?
Bas: In diesen besonders herausfordernden Zeiten fĂŒr uns alle hat sich mit dem Krieg auch die Rolle unseres Parlaments und meine Rolle als BundestagsprĂ€sidentin verĂ€ndert. Wir sind im Krisenmodus. Das merke ich zum Beispiel bei meiner Rolle als ReprĂ€sentantin des Deutschen Bundestages im Ausland. Bei meinen ersten Treffen mit anderen ParlamentsprĂ€sidentinnen oder -prĂ€sidenten haben wir stĂ€rker ĂŒber praktische Fragen gesprochen: Wie die Parlamente arbeiten, wer schon digital abstimmt. Mit dem Krieg haben die außenpolitischen Termine deutlich zugenommen. So nehme ich in diesen Tagen an der Krim-Plattform teil, zu der mich mein ukrainischer Amtskollege Ruslan Stefantschuk nach Zagreb eingeladen hat. Die Themen Energieversorgung und Preissteigerungen drohen in vielen LĂ€ndern zu sozialen Problemen zu fĂŒhren. NatĂŒrlich ist all das gerade fĂŒr die Parlamente und ihre Abgeordneten eine große Herausforderung. Es geht um den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Akzeptanz politischer Entscheidungen in Krisenzeiten bei uns und in Europa.

„Das Parlament“: Zeiten, in denen viele Menschen das GefĂŒhl haben , dass sie eine Krise nach der anderen durchleben mĂŒssen: Erst die Pandemie, dann der russische Überfall auf die Ukraine, die Energiekrise, daneben der Klimawandel. Inwieweit spĂŒren Sie das auch im Parlamentsbetrieb?
Bas: Wir haben mehrere schwierige Krisen parallel. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, gerade steigen wieder die Infektionszahlen. Dazu kommt die Energiekrise. Und absehbar eine Rezession. Als der Koalitionsvertrag vereinbart wurde, sah die Welt noch anders aus. Da ging es um viele in die Zukunft gerichtete Themen, die wir nicht vergessen dĂŒrfen. Jetzt spĂŒrt man im Parlamentsbetrieb, dass es ĂŒberwiegend um Krisenmanagement geht. 

„Das Parlament“: Wie macht sich das bemerkbar?
Bas: AblĂ€ufe werden komprimiert, Fristen werden abgekĂŒrzt. Das beschĂ€ftigt mich natĂŒrlich als PrĂ€sidentin. Mir ist es wichtig, dass die Abgeordneten genug Zeit haben, Themen zu beraten. Wenn viele wichtige Themen parallel laufen, ist das eine große Herausforderung fĂŒr alle Abgeordneten, auch fĂŒr die erfahrenen. Positiv ist aber: Der Deutsche Bundestag war selbst in den schwierigsten Coronamonaten jederzeit arbeitsfĂ€hig, und auch die aktuellen AblĂ€ufe bekommen wir hin, Abgeordnete und Verwaltung in gemeinsamer Anstrengung. 

„Das Parlament“: Sie gehören seit 2009 dem Bundestag an, haben sich einen Namen gemacht als profilierte Gesundheitspolitikerin. Sie sagten eben, dass die aktuelle Situation in der Außenpolitik mehr inhaltliche Diskussionen mit sich bringt. Wie ist das innenpolitisch: Können Sie sich da noch in das TagesgeschĂ€ft einbringen – und falls nicht: Vermissen Sie das?
Bas: Ich wĂŒrde mich einbringen, wenn ich es fĂŒr notwendig halte. Aber natĂŒrlich hat man im Amt der BundestagsprĂ€sidentin eine andere Rolle. Das bedeutet ganz klar weniger politisches TagesgeschĂ€ft. Ob ich das vermisse? In den vergangenen Jahren habe ich zum Beispiel intensiv am Infektionsschutzgesetz gearbeitet; diese Nachtsitzungen vermisse ich nicht. Auf der anderen Seite gibt es viele parlamentarische Themen, aktuell zum Beispiel die Wahlrechtsreform, wo ich mich als PrĂ€sidentin des Bundestags einmischen kann, und dies im Sinne der WĂ€hlerinnen und WĂ€hler auch tue. Sicherlich bleibe ich auch bei anderen Themen nicht immer völlig neutral, weil ich nach wie vor Abgeordnete bin. Ich stimme als Abgeordnete ab und habe meinen Wahlkreis in Duisburg, aus dem ich die Themen der Menschen mit nach Berlin nehme. Aber in meiner Rolle als PrĂ€sidentin vertrete ich das Haus in GĂ€nze. 

„Das Parlament“: Schaffen Sie es noch, im Wahlkreis Termine so wie frĂŒher wahrzunehmen, etwa mit BĂŒrgersprechstunden?
Bas: Die Wochen im Wahlkreis sind leider etwas weniger geworden, vor allem da ich Auslandsreisen immer in Nicht-Sitzungswochen absolviere. WĂ€hrend der Sitzungswochen bin ich natĂŒrlich durchgehend hier im Hause. Wenn ich GlĂŒck habe, schaffe ich in sitzungsfreien Wochen drei Tage in meinem Wahlkreis, die ich dann intensiv fĂŒr BĂŒrgergesprĂ€che, Treffen mit Organisationen oder Unternehmensbesuche nutze. Mir ist es sehr wichtig, mich vor Ort auszutauschen und die Stimmung der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger aufzunehmen. DafĂŒr sind wir Abgeordneten da.

„Das Parlament“: In Ihrer Rede zum Tag der Deutschen Einheit betonten Sie die Bedeutung des demokratischen Streits und mahnten, dass die Demokratie Schaden nehme, wenn sich engagierte Menschen zurĂŒckzögen. Der Bundestag sollte in der Form der demokratischen Auseinandersetzung Vorbild sein. Welche Note bekommt er in diesem ersten Jahr der 20. Wahlperiode? 
Bas: Die Frage ist, wofĂŒr ich die Note vergebe: FĂŒr die Diskussionskultur? DafĂŒr, wie wir von außen wahrgenommen werden? Also, insgesamt: Da wir noch Verbesserungsmöglichkeiten haben, wĂŒrde ich uns fĂŒr das erste Jahr eine Drei plus geben. Ich habe in meiner Antrittsrede gesagt, dass es wichtig ist, wie wir hier im Haus miteinander reden. Wir haben sehr viele BĂŒrgerinnen und BĂŒrger, die die Debatten verfolgen, und ich bekomme viele Briefe, in denen es heißt, wir benĂ€hmen uns manchmal wie im Kindergarten. TatsĂ€chlich können wir im Parlament beim Umgang miteinander noch besser werden. Als PrĂ€sidium achten wir gemeinsam darauf, dass es fair zugeht und gleichzeitig eine lebendige Debatte möglich ist. Konstruktiver Streit ist das KernstĂŒck parlamentarischer Demokratie – hart in der Sache, aber fair im Umgang. 

„Das Parlament“: Bei der Bundestagswahl vor einem Jahr sind relativ viele junge Politiker ins Parlament gewĂ€hlt worden. SpĂŒren Sie neue Akzente, die die Newcomer setzen?
Bas: Vielen Newcomern geht es so wie mir am Anfang: Man will sofort Dinge umsetzen. Ich denke, vielen Jungen fehlt noch die Geduld, was die AblÀufe angeht, und vielleicht ist diese Unruhe auch ganz gut. Sie wollen digital arbeiten. Sie kommen aus einer ganz anderen Kultur. Die jungen Abgeordneten drÀngen darauf, dass wir modernere Strukturen im Haus bekommen. Dass die Prozesse schneller und einfacher ablaufen. Ich teile viele dieser Punkte und wir arbeiten daran.

„Das Parlament“: Modernere Strukturen, worauf zielt das? 
Bas: Das zielt auch auf Politik und Familie. In dieser Legislaturperiode sind unter den Abgeordneten viele junge MĂŒtter und VĂ€ter, die sagen: Familie ist mit unserem Sitzungsrhythmus kaum zu vereinbaren. Und wenn ihr Kind in einer Sitzungswoche mit dabei ist, wĂŒnschen sie sich, dass sie hier im Bundestag auch ausgestattete RĂ€umlichkeiten haben, wo die Kinder betreut werden können. Da hat mein VorgĂ€nger Wolfgang SchĂ€uble schon viel möglich gemacht und wir arbeiten auch bei diesem Thema an Verbesserungen. Ein noch schwierigerer Punkt sind die Nachtsitzungen. Das werde ich bedauerlicherweise nicht lösen können, weil die Fraktionen selbst bestimmen, wie sie die Tagesordnung gestalten und wie viel Redezeit sie ansetzen. Wenn wir bis tief in die Nacht tagen, geht das an die Substanz und macht jungen Eltern die Betreuung ihrer Kinder schwierig. Das gilt ĂŒbrigens auch fĂŒr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten und der Bundestagsverwaltung.

„Das Parlament“: Sie haben jĂŒngst mit einer Ihrer beiden VorgĂ€ngerinnen im Amt, Rita SĂŒssmuth, eine Veranstaltung zum Thema ParitĂ€t, also zur gleichen Teilhabe von Frauen in der Politik bestritten und darauf verwiesen, dass wir jetzt ein paritĂ€tisch besetztes Kabinett haben und im BundestagsprĂ€sidium sogar mehr Frauen als MĂ€nner sitzen. Aber bei den Abgeordneten sind derzeit mit knapp 35 Prozent noch immer nur rund ein Drittel Frauen

Bas: Wir sollten auf jeden Fall weiter mit allem Nachdruck darauf drĂ€ngen, den Frauenanteil in den Parlamenten zu erhöhen: Gelingt es, verfassungsrechtlich zulĂ€ssige Möglichkeiten zu finden, bei der Listenaufstellung zu mehr ParitĂ€t zu kommen? Es gab ja zwei Urteile, die zumindest in der BegrĂŒndung Möglichkeiten aufzeigten. 

„Das Parlament“: Von den Landesverfassungsgerichten in Brandenburg und ThĂŒringen…
Bas: Genau. Diese Rechtslage mĂŒssen wir mit Engagement und mit großer Sorgfalt prĂŒfen. Die Parteien, die jetzt schon freiwillig paritĂ€tische Listen aufstellen, sind auch diejenigen mit dem grĂ¶ĂŸten Frauenanteil hier im Parlament. Die Quotenregelungen bringen also schon etwas. Aber 34,8 Prozent sind, nicht nur mir, wirklich zu wenig. Wir kommen seit zwanzig Jahren ĂŒber diese Ein-Drittel-Grenze einfach nicht hinaus. Deswegen sollten wir dringend nach weiteren Instrumenten suchen. 

„Das Parlament“: Aber den Parteien paritĂ€tische Listen vorzuschreiben, haben beide Gerichte ausgeschlossen.
Bas: Ich wĂŒrde trotzdem weiter versuchen, rechtliche Möglichkeiten zu finden, ĂŒber das Wahlverfahren zu einem gerechteren Frauenanteil in den Parlamenten zu kommen. Das betrifft ja nicht nur den Bundestag, sondern auch Landes- und Kommunalparlamente. Die Wahlrechtskommission sucht hier nach wie vor nach Lösungen. 

„Das Parlament“: Vor allem soll die Kommission VorschlĂ€ge zur Verkleinerung der Abgeordnetenzahl erarbeiten. 598 sollten es eigentlich sein, 736 sind es jetzt. Mal abgesehen von den Kosten: Sind 736 Abgeordnete zu viel? Der Bundestag scheint durchaus arbeitsfĂ€hig… 
Bas: Dass er arbeitsfĂ€hig ist, zeigen wir ja. Aber dass diese große Abgeordnetenzahl zu einer Erschwerung der Arbeit fĂŒhrt, ist fĂŒr uns alle hier offensichtlich. Mein grĂ¶ĂŸtes Problem ist zudem, dass es nach oben keine Begrenzung gibt: Beim nĂ€chsten Mal könnten es auch 800 oder 900 Abgeordneten sein, und dann komme ich an faktische Grenzen. Allein bei den RĂ€umlichkeiten. Bei der jetzigen GrĂ¶ĂŸe des Bundestages passt alles noch so gerade eben, die Verwaltung hat da wirklich Enormes geleistet, aber bei 800 oder mehr Abgeordneten mĂŒssten wir zum Beispiel in großem Stil zusĂ€tzliche RĂ€ume in externen Liegenschaften anmieten, was enorme logistische und Sicherheitsprobleme bedeutet, von den Kosten ganz zu schweigen. 

„Das Parlament“: Bis wann, meinen Sie, muss die Wahlrechtskommission hierzu Ergebnisse vorlegen? 
Bas: Soweit es um die GrĂ¶ĂŸe des Bundestages geht und um die Frage eines Neuzuschnitts von Wahlkreisen, muss es spĂ€testens Anfang nĂ€chsten Jahres zu einer Grundsatzentscheidung kommen. Ansonsten gĂ€lte die aktuelle Gesetzeslage, dass die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 reduziert werden soll. Ich höre, dass es in der Wahlrechtskommission einen breiten Konsens gibt, bei 299 Wahlkreisen bleiben zu wollen. Dann muss es aber auch spĂ€testens Anfang 2023 eine Entscheidung dazu geben! Wir mĂŒssen zwingend wissen, ob die Wahlkreise neu zugeschnitten werden mĂŒssen. Denn das wĂ€re ein lĂ€ngerer Prozess, der rechtzeitig vor der Wahl rechtskrĂ€ftig abgeschlossen sein mĂŒsste. Ich erwarte daher baldige Klarheit zum Wahlverfahren. Andere Themen, wie die angesprochenen ParitĂ€tsfragen und eine mögliche Absenkung des Wahlalters, behandelt die Kommission gerade. Wir mĂŒssen auch damit rechnen, dass das neue Wahlgesetz gerichtlich ĂŒberprĂŒft wird. Darum meine ich, dass wir jetzt zĂŒgig zu den nötigen Entscheidungen kommen mĂŒssen.

„Das Parlament“: Ein Teil der Bundestagswahl 2021 wird voraussichtlich wiederholt, nĂ€mlich in Berlin wegen der zahlreichen Pannen am Wahltag. Die Beratungen im WahlprĂŒfungsausschuss sind sehr strittig, auch Bundes- und Landeswahlleitung sind sich in der Bewertung der Pannen nicht einig. Schadet ein solcher Streit der WahlprĂŒfung?
Bas: Konstruktiver und fairer Streit ist grundsĂ€tzlich wichtig fĂŒr unsere Demokratie. Bei Fragen der WahlprĂŒfung wĂŒnsche ich mir allerdings einen möglichst breiten Konsens – wie bei allen Fragen des Wahlrechts. Die WĂ€hlerinnen und WĂ€hler mĂŒssen darauf vertrauen können, dass Wahlen ordnungsgemĂ€ĂŸ ablaufen. Nur dann werden die Menschen auch zukĂŒnftig zur Wahl gehen und sich aktiv an unserer Demokratie beteiligen.

Foto: BĂ€rbel Bas (c) SPD/photothek