Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki (Foto) schrieb für Cicero Online folgende Kolumne:
In dieser Woche ist etwas Bemerkenswertes passiert. Und damit meine ich nicht, dass Ricarda Lang nach 13 Jahren Studium ihren Bachelor of Laws abgeschlossen hat. Bemerkenswert ist der Nachrichtenwert, den dieser Umstand erfahren hat. Ob Stern, Spiegel, FAZ, Tagesspiegel oder Bild: Wirklich alle haben am Mittwoch über den akademischen Fortschritt der ehemaligen Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen berichtet.
Als Sozialliberaler alter Prägung weiß ich um den Stellenwert der Bildung als Schlüssel für echte Chancengerechtigkeit. Nicht nur deswegen will ich an dieser Stelle meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen und Ricarda Lang die dieswöchige Kolumne symbolisch widmen. Befassen wir uns also mit der Frage, was der Umstand, dass der Bachelor einer 31-jährigen Frau derart mediale Wellen schlägt, über den Stellenwert von Bildung und Beruf in der Politik aussagt?
Ein Grund für den beachtlichen medialen Aufschlag ist sicherlich die weit verbreitete Ansicht, dass zu viele Politiker zu wenig Berufserfahrung haben bzw. nicht einmal eine richtige Ausbildung oder einen Abschluss. Auch ich habe das immer wieder thematisiert und halte die Tendenz auch wirklich für bedenklich. Der Souverän ist das Volk, und die Abgeordneten sind nur seine Vertreter. Idealtypisch kommen die Abgeordneten aus dem Volk und teilen damit auch seine Erfahrungen oder die Lebenswirklichkeit der Menschen im Land. Und für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen und sich dafür zu qualifizieren, ist eine Erfahrung, die unter den Deutschen glücklicherweise noch weit verbreitet ist. Da ist es nur gesund, wenn möglichst viele im politischen Betrieb diese Erfahrung teilen würden, ohne der Fehleinschätzung zu unterliegen, Politiker sei ein Beruf. Unter den Abgeordneten gibt es diese Menschen natürlich auch zur Genüge.
Ich war immer stolz, während meiner ganzen Politikkarriere meine berufliche Unabhängigkeit erhalten zu haben. Auch wenn meine politischen Gegner – vor allem von links – immer wieder Gift und Galle deswegen gespuckt haben. Neben dem Mandat an seiner beruflichen Unabhängigkeit festzuhalten, wurde mit einigem Erfolg längst als etwas Anrüchiges geframet. Dabei erwächst nur aus wirtschaftlicher Unabhängigkeit auch politische Unabhängigkeit. Wer wirtschaftlich unabhängig ist, also auf Posten und Mandate finanziell nicht angewiesen, ist schwerer zu korrumpieren. Und natürlich sind solche Abgeordneten auch schwerer zu disziplinieren. Diejenigen, die meine Person in den 90er- und 00er-Jahren gegenüber Journalisten gerne als „Enfant terrible“ oder „Außenseiter“ abgestempelt haben, können ein Lied davon singen.
Aber nicht nur die Unabhängigkeit, sondern auch die Erfahrungen des „echten Lebens“ sind es, die jungen Abgeordneten oftmals abgehen. Das Klischee von „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“ trifft leider häufig zu. Auch das ist ein Problem – und zwar unabhängig davon, ob ein Studienabschluss erreicht wurde oder nicht. Es befördert zudem eine immer weiter voranschreitende Entfremdung zwischen Vertretern und Vertretenen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie gestandener Handwerksmeister oder erfolgreicher Hirnchirurg sind: Wenn Ihnen im Parlament ein schneidiger 27-jähriger Sozialwissenschaftler ohne jede Berufserfahrung erklärt, wie der Hase läuft, kommt eher Skepsis als Begeisterung auf. Und wenn die Abgeordneten jetzt mit Baby an das Rednerpult treten, finden das viele toll. Manch berufstätige Frau fragt sich hingegen, wieso Parlamentarier sich bei aller bereits bestehenden finanziellen Privilegien Dinge herausnehmen, die in der Berufswelt undenkbar sind. Das mag man beklagen, aber so ist die harte Realität. Weder im Supermarktlager noch im OP-Saal wird man mit umgehängtem Baby seiner Pflicht gut nachkommen können.
Der Weg aus der abstrakten Welt der Universitäten führt allzu oft ohne Umwege in die nicht minder abstrakte Welt der Gesetzgebung. So ist eine Politikergeneration herangewachsen, die theoretisch geschult bis naseweis in Erscheinung tritt. Viele von ihnen haben den Kontakt zur Realität nicht verloren, sondern nie gehabt. Deswegen ist das Erlangen eines Studienabschlusses zwar etwas, das sehr zu begrüßen ist. Wichtiger scheint mir aber die tatsächliche Berufsausübung, also der Beweis, mit der erlangten Qualifikation auch den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das gelingt vielen auch ohne Ausbildung, manchen sogar recht erfolgreich. Und vielen gelingt es trotz Jahrzehnten an den Universitäten nicht wirklich.
Und mal Hand aufs Herz: Das Studieren um des Studierens willen war eine der fatalsten Lebenslügen, die Rot-Grün erfolgreich verbreitet hat. Der Umstand, die geistigen Voraussetzungen zum Abschluss eines Studiums zu haben, ist kein ausreichender Grund, eines abzuschließen. Interesse, bestenfalls Begeisterung sollte hinzukommen. Und natürlich eine Perspektive. Wer heute seinen Kindern eine goldene Zukunft wünscht, hofft auf ihr handwerkliches Geschick und dass sie einen Bogen um Soziologie-Vorlesungen machen und in eine solide Berufsausbildung gehen. Aber auch diese Realität bildet sich im Bundestag nicht ab. Derzeit beträgt dort die Akademikerquote 81 Prozent. „Hauptsache studieren“ gilt hier noch etwas, während sich in der Gesellschaft dieser Ansatz durch den enormen technischen Fortschritt bei Künstlicher Intelligenz schon sehr bald überholen wird.
Nun ist der Befund das eine, die Auflösung solcher Probleme etwas anderes. Wenig überraschend werde ich hier keine Lanze für irgendwelche Quoten brechen. Über die Vorstellung, dass echte oder vermeintliche „Experten“ die besseren Politiker sind, kann ich seit Corona ohnehin nur noch müde lächeln. Das letzte Mal, dass nach einem „Experten“ in der Regierung gerufen wurde, wachten wir mit Karl Lauterbach als Gesundheitsminister auf. Nein, die Expertokratie ersetzt die Demokratie nicht. Die Menschen sollen und müssen wählen, wen sie wollen. Und wenn es 30-jährige Bachelor-Studenten sind, dann ist das so. Die Wähler haben es in der Hand. Aber vielleicht führt der Bachelor-Abschluss von Ricarda Lang auch bei Grünen-Anhängern zu einem Umdenken, und es wird wieder mehr hinterfragt, wen man da eigentlich in das Parlament schickt. Jedenfalls sollte nicht weiter der Eindruck entstehen, dass ein Abschluss, eine Ausbildung oder ein Beruf für das politische Fortkommen eher hinderlich ist. Das ist der eigentliche Kulturwandel, den ich mir wünschte. Eine politische Kultur, in der Berufserfahrung ein Plus und kein Manko ist. Und eine politische Kultur, die zu erkennen gibt, dass universitäre Bildung der beruflichen Bildung nicht überlegen ist.
Das sichert nicht nur die Unabhängigkeit der Abgeordneten und damit auch die politische Kultur, sondern verschafft gerade auch jungen Politikerinnen und Politikern eine gewisse natürliche Autorität. Oder um es etwas populistisch auszudrücken: So hätten auch die linksten Politiker eine Chance von weiten Teilen der Bevölkerung ernst genommen zu werden.
—–
Quelle: Freie Demokratische Partei am 27. September 2025
Foto: Wolfgang Kubicki © Laurence Chaperon