Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger gab dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tim Szent-Ivanyi:
Frage: Frau Stark-Watzinger, diese Woche startet das diesjährige „Wissenschaftsjahr“, mit dem die Menschen stärker für Wissenschaft und Forschung interessiert werden sollen. Das Motto lautet „Freiheit“. Viele Menschen empfinden sie gerade als eingeschränkt, weil Lokführer streiken und Landwirte Autobahnen blockieren. Wie weit darf Protest gehen?
Stark-Watzinger: Mit dem Wissenschaftsjahr laden wir die Bürgerinnen und Bürger ein, engagiert für und über Freiheit zu streiten. Dabei geht es auch genau um solche Freiheitskollisionen. Natürlich gibt es ein Streikrecht und Tarifautonomie. Auch Proteste sind erlaubt, solange die Gesetze eingehalten werden. Aber es muss auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.
Frage: Ist das im Fall der langen Warnstreiks der Lokführer der Fall?
Stark-Watzinger: Ich habe da meine Zweifel. Die Lokführergewerkschaft schränkt schließlich die Bewegungsfreiheit vieler Menschen empfindlich ein. Es wäre jetzt angebracht, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und dort intensiv nach einer Lösung zu suchen. Es muss den Verantwortlichen klar sein, dass das Verständnis der Gesellschaft weiter abnimmt, je länger die Streiks dauern.
Frage: Und wie verhält es sich mit den Blockaden der Bäuerinnen und Bauern?
Stark-Watzinger: Sie machen von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch. Und ich kann sie wie viele Menschen gut verstehen. Sie wurden als diejenigen dargestellt, die die Tiere schlecht behandeln und die Böden vergiften. Ihnen wurde viel Bürokratie, Kontrolle und Reglementierung zugemutet. Und es wurden politische Entscheidungen nicht auf wissenschaftlicher Grundlage getroffen, zuletzt bei den Neuen Züchtungstechniken. Da hat sich also schon vor der Debatte über die Subventionen viel Wut aufgestaut. Gleichzeitig ist völlig klar, dass sich auch die Landwirte bei ihren Protesten an die Gesetze halten müssen und nicht instrumentalisieren lassen dürfen.
Frage: Es ist der Eindruck entstanden, die Klimakleber würden von der Polizei härter behandelt als die Bauern, die unerlaubterweise mit Traktoren auf Autobahnen fahren. Gelten da unterschiedliche Freiheitsrechte?
Stark-Watzinger: Nein. Man sollte aber durchaus seinen moralischen Kompass anlegen. Die Landwirte bangen um ihr Geschäft, um ihre Arbeit. Die Letzte Generation, eine eher elitäre Gruppe, hat den Protest zum Geschäftsmodell gemacht. Aber nochmal: An die Gesetze müssen sich alle gleichermaßen halten.
Frage: Sollte die Ampel die Sparbeschlüsse überdenken?
Stark-Watzinger: Wir haben als Bundesregierung gemeinsam die Verantwortung, einen verfassungsmäßigen Haushalt aufzustellen. Wir müssen die Schuldenbremse einhalten und Zukunftsinvestitionen finanzieren. Das leistet die Einigung, auf die wir uns verständigt haben.
Frage: Bleiben wir beim Klima: Ist es angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel verständlich, wenn vor diesem Hintergrund die Forderung nach Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte erhoben wird?
Stark-Watzinger: Verbote dürfen auch außerhalb der Klimapolitik immer nur die Ultima Ratio sein. Denn sie sind nicht nur Freiheitseinschränkungen, sondern sie können auch die Demokratie aushöhlen.
Frage: Warum das?
Stark-Watzinger: Für einige mögen Verbote sogar bequem sein, weil sie sich dann moralisch besser fühlen. In einer Demokratie gehören Freiheit und Verantwortung aber zusammen. Und wenn ich meine Freiheit und meine Verantwortung immer an andere abgebe, dann mache ich mich selbst klein. Und das macht dann auch etwas mit unserer Gesellschaft und Demokratie. Wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, die sich einbringen, die diesen Staat mitgestalten und die auch Verantwortung übernehmen.
Frage: Aus der der SPD kommen Forderungen, die AfD als Gefahr für die freiheitliche Grundordnung zu verbieten. Ist die Partei tatsächlich eine Bedrohung?
Stark-Watzinger: Die AfD lässt keinen Zweifel daran, dass sie ein nationalistisches, völkisches Weltbild verfolgt. Sie will aus der Nato austreten, sie will die EU von ihnen heraus zerstören, sie hat rechtsextreme Vertreibungspläne. Damit setzt sie Deutschlands Sicherheit, Wohlstand und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel. Die AfD ist eine gefährliche Partei, die keine Verantwortung in unserem Land übernehmen darf. Aber die Hürden, eine Partei zu verbieten, sind aus gutem Grund sehr hoch. Das Scheitern eines Verbotsantrags vor dem Verfassungsgericht würde die AfD enorm stärken.
Frage: Nur deshalb nicht einmal den Versuch unternehmen, die Partei zu verbieten?
Stark-Watzinger: Die Messlatte liegt wie gesagt sehr hoch. Deshalb wäre ein Antrag nur sinnvoll, wenn der Erfolg fast sicher wäre. Ein Parteiverbot würde auch nicht alle Probleme lösen. Es ist zentral, die AfD politisch zu stellen.
Frage: Zurück zur Wissenschaft: Insbesondere die KI wird als Gefahr für die Demokratie wahrgenommen, weil zum Beispiel durch sogenannte Deep-Fakes die Bevölkerung manipuliert werden kann. Ist das eine überzogene Befürchtung?
Stark-Watzinger: Keine Frage, der Missbrauch von KI kann eine Gefahr für den öffentlichen Diskurs sein und damit auch für die Demokratie. Deshalb fördern wir schon seit mehreren Jahren eine Reihe von Forschungsprojekten, die sich mit dem Erkennen von Fake-News und Desinformation beschäftigen. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Vorteile von KI deutlich überwiegen. Denken Sie daran, dass wir mit ihrer Hilfe auch den Klimawandel bekämpfen können, weil die Energienetze effizienter gestaltet werden können. Neue Behandlungsmethoden in der Medizin sind möglich, auch in der Forschung und Bildung schafft KI Chancen. Mir macht im Zusammenhang mit dem öffentlichen Diskurs etwas anderes Sorgen.
Frage: Was?
Stark-Watzinger: Wenn 40 Prozent der Menschen in einer Umfrage angeben, dass sie sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen, dann läuft etwas falsch in unserem Land. Die Menschen fürchten sich davor, niedergemacht zu werden. Aber ohne freien Diskurs wird es uns nicht gelingen, Kompromisse zu finden und die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Wir brauchen Meinungsfreiheit und eine offene Debattenkultur.
Frage: Auch die Wissenschaftsfreiheit gilt als hohes Gut. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel hat es in Universitäten antisemitische Vorfälle gegeben. Wie weit kann die Freiheit der Wissenschaft gehen?
Stark-Watzinger: Hochschulen sind Orte maximaler Freiheit, aber sie sind keine rechtsfreien Räume. Wenn ich von jüdischen Studierenden höre, dass sie sich nicht mehr trauen, in die Hochschule zu gehen, dann ist das erschreckend. Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ist Ausdruck von Hass und Verschwörungstheorien. Es muss alles getan werden, dagegen mit rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen. Und es braucht eine klare Positionierung aller Hochschulleitungen gegen Antisemitismus.
Frage: Ist das Ihrer Meinung nach noch nicht überall geschehen?
Stark-Watzinger: Viele Hochschulen sind ihrer Verantwortung gerecht geworden und haben sich klipp und klar gegen Antisemitismus positioniert. Wir sehen aber auch einige Hochschulen, in denen das nicht oder nur sehr zögerlich und halbherzig passiert. Ich halte das für inakzeptabel. Antisemitismus muss klare Konsequenzen haben.
Frage: Wer Fördergelder für den Kulturbereich vom Land Berlin erhalten will, muss neuerdings auch eine Klausel gegen jede Form von Antisemitismus unterschreiben. Sollte man das auch in der Wissenschaft einführen?
Stark-Watzinger: Antisemitismus und Israel-Hass dürfen in der Wissenschaft keinen Platz haben und auch nicht gefördert werden. Für mein Ministerium ist das Grundgesetz und der BDS-Beschluss des Bundestages handlungsleitend. Solche Klauseln müssen vor Gericht und in der Praxis bestehen können. Sonst bewirken sie nichts. Ganz wesentlich ist deshalb der Schulterschluss aller Beteiligten gegen Antisemitismus. Die Wissenschaft ist frei, damit ist aber auch eine Verantwortung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen verbunden – mit oder ohne Klausel.
Foto: Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung © Bundesregierung/Guido Bergmann