Eva von Angern, Fraktionsvorsitzende, sagt zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Landtag zur Aufarbeitung des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt:
„Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember 2024 erschüttert uns tief. Ein Kind und fünf Frauen wurden getötet. Fast 60 Menschen sind schwerstverletzt, es gibt Hunderte Betroffene. Hunderte Menschen, die ein Leben lang mit dem Erlebten und mit den Folgen klar kommen müssen. Ihnen sind wir heute im Besonderen verpflichtet. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Opfern, ihren Familien und Freunden.
Die Menschen rückten, Menschen rücken zusammen – auch im Angesicht eines solchen Grauens. Mitgefühl zeigten all diese Menschen vor Ort, die nicht fragten, was zu tun sei, sondern da waren und einfach halfen. Mitgefühl zeigte jeder, der half, jeder, der seine Familie und Freunde anrief mit der Frage: „Seid ihr wohlauf?“. Die Spenden, die Blumen, die stille Menschenkette – all dies drückt unser Mitgefühl aus.
Die Hilfen für Anschlagsopfer müssen vereinfacht und verbessert werden. Die Landesregierung hat nach dem Anschlag von Halle Jahre gebraucht, nur für eine Richtlinie zum Landesopferfonds. Viel zu lange, noch dazu für einen Fonds, der viel zu klein ist. Letztlich war dann der Bund zuständig. Dieses Verantwortungsgeschiebe muss aufgelöst werden. Wir müssen die Kritik der Betroffenen ernst nehmen, die nach wie vor auf zögerliche Behörden und komplizierte Verfahren stoßen.
Wir müssen ebenso die rassistischen Folgetaten in Magdeburg nach dem Anschlag benennen und verurteilen. In den Krankenhäusern arbeiten Menschen aus vielen Nationen. Sie betreuen die Opfer des Anschlages. Und dann, nach ihrer Schicht, haben sie Angst, mit Bus und Bahn nach Hause zu fahren. Was für ein völlig inakzeptabler Zustand. Leider ist auch das ist eine Realität in Magdeburg: Eine Realität des Abrückens voneinander. Ich sage ganz klar, das muss aufhören.
Magdeburg trauert und unsere Stadt hat bereits viel zu viel Gewalt erlebt. Noch in der Nacht des Anschlages hat dies eine einzige Fraktion ganz anders gesehen. Wir sind nicht überrascht, aber wir sind angewidert von dieser Skrupellosigkeit, die sie auch heute wieder zeigen. Abgeordnete stehen in der Verantwortung, Gewalt zu ächten und nicht, sie weiter anzuheizen. Unsere Aufgabe im Landtag ist jetzt die politische Aufarbeitung. Selbstverständlich – der Untersuchungsausschuss muss kommen, meine Fraktion hat das sehr schnell gefordert und es ist ein gutes Signal, dass es uns gelingt so zeitnah einen solchen Ausschuss einzusetzen.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss fragt nach politischer Verantwortung und sucht nach Verbesserungen: Also, hat etwas die Tat begünstigt und, wie kann man solche Taten künftig verhindern? Die Öffentlichkeit, die Betroffenen des Anschlags, sie erwarten darauf Antworten. Deshalb kann ich nur sagen, auf Wahlkampfmanöver und Klientelpolitik sollten alle bei dieser Arbeit verzichten. Ein gemeinsamer Antrag zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses mit der demokratischen Opposition wäre meines Erachtens besser gewesen, wäre ein weiteres wichtiges Signal gewesen.
Der Untersuchungsausschuss wird parallel zu strafrechtlichen Ermittlungen und Prozessen laufen. Das wird nicht einfach. Trotzdem müssen wir jetzt anfangen, denn die Informationspolitik der Landesregierung und der Stadt Magdeburg hat bisher mehr Fragen aufgeworfen als Fragen geklärt. Ich muss sagen, mit Blick auf die bisherigen Beratungen im Landtag: Bisher bin ich weit besser informiert, wenn ich mir morgens eine Zeitung kaufe.
Aus über 100 Hinweisen der letzten Jahre wissen wir: Der Täter suchte Aufmerksamkeit. Er drohte Menschen und an offiziellen Stellen. Er war auffällig, und er ist vielen aufgefallen. An Hinweisen zur Gefährlichkeit, auch von mutigen Frauen und Männern, die der Täter jahrelang tyrannisierte, hat es nicht gemangelt. Dieser Täter flog nicht unter dem Radar. Was also ist falsch gelaufen? Konnte niemand die Flut seiner Gewaltandrohungen einordnen, weil sich der Täter als Islamkritiker äußerte?
Konnte niemand seine rechtsextreme Einstellung einordnen, weil er Ausländer war? Oder wollte niemand so genau nachschauen, weil er als Facharzt selbst in einem sicherheitsrelevanten Bereich in Sachsen-Anhalt arbeitete? Aktuelle Medienberichte werfen die Frage auf, hätte ihm der Facharzttitel überhaupt verliehen werden dürfen? Das wäre fatal, sollte es sich bestätigen. Dann hätten wir nicht zuerst ein Vernetzungsproblem der Behörden, von dem die Union ja bereits überzeugt ist. Dann hätten wir vor allen Dingen ein Umsetzungs- und ein Durchsetzungsproblem.
Ein Jahr vor der Tat häufen sich die Hinweise. Die Hinweise landeten auf Schreibtischen, die in Magdeburg und Bernburg stehen, bei Polizei und Justiz. Soweit wir sehen, haben alle Fehler gemacht. Eben auch die Stadt Magdeburg, die Polizei, die Weihnachtsmarktgesellschaft mit einem Sicherheitskonzept, das völlig untauglich gegen Anschläge mit einem Fahrzeug war. Ausgerechnet die Art der schrecklichen Tatbegehung, die es bereits 2016 gab, blieb bei den Sicherheitsvorkehrungen in Magdeburg unberücksichtigt.
Die Landesregierung muss sicherlich Entscheidungen korrigieren. Die Privatisierung des Maßregelvollzug muss zurückgenommen werden. Im Gegensatz zu Polizeibeamten und Mitarbeitenden des Strafvollzuges findet keinerlei Überprüfung der Mitarbeitenden im Maßregelvollzug statt, ob auch sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, obwohl sie hoheitliche Maßnahmen übernehmen. Das kann und darf nicht sein. Wir erleben jetzt einen Krankenhausträger, dem es anscheinend nicht auffiel, dass ein Mediziner öffentlich auf X mit dem Bild einer Waffe und immer wieder mit Gewalt drohte. Ein Mediziner, der vor der Tat wochenlang krankgeschrieben war. Die Vorgesetzten sollen davon nichts mitbekommen haben? Da habe nicht nur ich Zweifel.
Ich erwarte eine ergebnisoffene und gründliche Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss. Die Fraktion Die Linke wird daran aktiv mitwirken. Wir werden über Schuld und über Verantwortung reden. Für mich ist heute nicht der Tag der Rücktrittsforderungen. Doch ich nehme zur Kenntnis, dass ich bisher keine Entschuldigung von Verantwortungsträgern gehört habe. Vielmehr findet eine Verteidigung von Entscheidungen oder ein Pingpong-Spiel bei Verantwortlichkeiten statt. Das ist bitter – vor allem für die Opfer.“
Quelle: Fraktion Die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt am 22. Januar 2025
Foto: evavonangern.de (CC-BY-ND-2.0)
