Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des EuropĂ€ischen Parlaments und Leiterin der FDP-Delegation im EuropĂ€ischen Parlament Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdEP gab âwirtschaftswoche.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniel Goffart:
Frage: Frau Strack-Zimmermann, die Spitzen der EU sind nach Washington gereist, um bei US-PrÀsident Donald Trump ihren Platz am Verhandlungstisch in Sachen Ukraine geltend zu machen. Ist das gelungen?
Strack-Zimmermann: Das inzwischen eingeĂŒbte Buckeln vor Trump ist wirklich schwer verdaulich, ebenso wie der Kotau in Handelsfragen. Das Muster war auch jetzt beim Treffen im WeiĂen Haus zu beobachten. Ich nehme es inzwischen hin, ebenso wie die absurden Erörterungen ĂŒber den Kleidungsstil des ukrainischen PrĂ€sidenten Wolodymyr Selenskyj. Ich stelle mir wirklich vermehrt die Frage: In welcher bescheuerten Welt leben wir eigentlich? Da kĂ€mpfen die Ukrainer ums Ăberleben und wir unterhalten uns ĂŒber den Kleidungsstil ihres PrĂ€sidenten?
Frage: âBuckeln vor Trump“, wie Sie sagen, bedeutet ja nichts anderes, als dass Europa in der Ukrainefrage nur noch am Katzentisch der Weltpolitik sitzt. Stimmt das wirklich?
Strack-Zimmermann: Europa ist nicht der Hauptakteur in diesem Konflikt, aber der Krieg findet in Europa statt und berĂŒhrt damit auch unsere Sicherheit. Das heiĂt, ohne Europa wird es keinen verlĂ€sslichen Frieden geben. So gesehen war das gemeinsame Auftreten der EuropĂ€er in Washington schon sehr wichtig und hat Trump sicher auch imponiert. Zumal die Regierungschefs auch noch vom Nato-GeneralsekretĂ€r und der EU-KommissionsprĂ€sidentin begleitet wurden. Da hat Trump möglicherweise vor Augen gefĂŒhrt bekommen, dass er die Ukrainefrage nicht einfach mit Putin ĂŒber den Kopf der EuropĂ€er hinweg entscheiden kann.
Frage: Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Zwischenergebnis dieses Treffens?
Strack-Zimmermann: Insgesamt ist das Ergebnis ĂŒberschaubar. Das lĂ€sst sich ja schon an der Freude darĂŒber ablesen, dass es im WeiĂen Haus keinen Eklat gab. Das wiederum zeigt, wie bescheiden unsere Erwartungen an die amerikanische Politik inzwischen geworden sind. Wirklich ins Auge sticht die Tatsache, dass offenbar ziemlich konkret ĂŒber Sicherheitsgarantien fĂŒr die Ukraine gesprochen wurde. AuffĂ€llig war auch, dass Bundeskanzler Friedrich Merz seine Meinung in Bezug auf einen Waffenstillstand als Voraussetzung fĂŒr weitere GesprĂ€che geĂ€ndert hat. Inzwischen ist er auf die europĂ€ische Linie eingeschwenkt, wonach ohne ein Ruhen der Kampfhandlungen keine Fortschritte in einem möglichen Friedensprozess erreicht werden können.
Frage: Werden die USA auf diese Linie einschwenken?
Strack-Zimmermann: Angesichts der WankelmĂŒtigkeit von Trump und seiner hĂ€ufigen Meinungswechsel habe ich meine Zweifel. Die EU muss da jetzt sehr konkret werden. Wenn die Ukraine schon nicht Mitglied in der Nato sein kann, ihr stattdessen aber Sicherheitsgarantien analog dem Beistandsversprechen in Artikel 5 des Nato-Vertrags gegeben werden sollen, dann bedeutet das vermutlich nichts anderes, als gegebenenfalls europĂ€ische Truppen in die Ukraine als Schutz zu entsenden.
Frage: Noch bevor ĂŒber verschobene Grenzen oder Waffenstillstandslinien gesprochen wird, soll eine Pufferzone gebildet werden. Die USA wollen keine Truppen zur Sicherung entsenden. Das wird also allein Aufgabe der EuropĂ€er?
Strack-Zimmermann: Das ist so. Denn was bedeutet es, der Ukraine im Fall eines Friedens âSicherheitsgarantien“ zu geben, so wie Bundeskanzler Merz es fordert? Das heiĂt doch nichts anderes, als am langen Ende europĂ€ische Truppen dort zu stationieren, um Putin die Lust zu nehmen, nach ein paar Jahren Luft holen erneut angreifen zu lassen.
Frage: Soll dann auch Deutschland Soldaten schicken?
Strack-Zimmermann: Wenn Frankreich und GroĂbritannien bereit dazu sind, mit weiteren europĂ€ischen Partnern die ukrainische Grenze zu russischem Gebiet zu sichern beziehungsweise dort eine Pufferzone zu bilden, dann wird Deutschland sich dem kaum entziehen können. Zumal Bundeskanzler Merz ja den Anspruch erhebt, an dieser Stelle FĂŒhrung ĂŒbernehmen zu wollen. Alle reden ĂŒber Frieden und wĂŒnschen sich ein Ende des Tötens. Aber Merz muss den Menschen dann auch offen sagen, welche Konsequenzen es hat, der Ukraine âSicherheitsgarantien“ zu versprechen.
Frage: Was wÀre erforderlich?
Strack-Zimmermann: Ich erwarte von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, dass er ein Konzept dafĂŒr vorlegt. Geht das auf Kosten der deutschen Brigade, die gerade in Litauen aufgestellt wird, oder können wir beides stemmen? Es stellen sich eine Reihe von Fragen, die die Bundesregierung dringend beantworten und den Menschen in Deutschland erklĂ€ren sollte. Den BĂŒrgern kann man vieles zumuten, man muss es ihnen nur erlĂ€utern und immer wieder darauf hinweisen, dass die Sicherheit der Ukraine unmittelbar auch mit unserer Sicherheit zu tun hat.
Frage: PrĂ€sident Trump will keine MilitĂ€rhilfe mehr geben, sondern die von der Ukraine benötigten Waffen an die EuropĂ€er verkaufen, die sie dann an die Regierung in Kiew weiterleiten. Widerspricht das nicht dem Ziel einer europĂ€ischen AufrĂŒstung mit einer einheitlichen europĂ€ischen Verteidigungsindustrie?
Strack-Zimmermann: Europa ist bezĂŒglich Waffenlieferungen am Limit, denn es muss natĂŒrlich noch militĂ€risches Material fĂŒr die Ausbildung unserer Soldaten vor Ort bleiben. Deshalb ist es grundsĂ€tzlich nicht zu kritisieren, wenn die europĂ€ischen Staaten in den USA vor allem Flugabwehrsysteme einkaufen und sie zum Schutz der ukrainischen Bevölkerung an die Ukraine weiterreichen. Trump möchte seinen WĂ€hlern schlichtweg nicht mehr erklĂ€ren mĂŒssen, warum die USA Milliarden fĂŒr die Ukraine ausgeben. Das ist die eine Ebene, aber es gibt noch eine zweite …
Frage: … und die wĂ€re?
Strack-Zimmermann: Wir statten gerade die europĂ€ischen Armeen vermehrt mit europĂ€ischer Technik aus. Das Ziel sollte sein, dass in den kommenden Jahren die militĂ€rische AusrĂŒstung zu mindestens 70 bis 75 Prozent europĂ€isch ist. Das gilt auch und besonders fĂŒr die Technik, Cyberattacken abzuwehren und AufklĂ€rung sowie Zielgenauigkeit aufzubauen. Diese FĂ€higkeiten liegen so gut wie alle in den HĂ€nden amerikanischer Unternehmen. Das muss sich Ă€ndern, wollen wir uns unabhĂ€ngig von den Vereinigten Staaten machen.
Frage: Was muss noch getan werden?
Strack-Zimmermann: Wir brauchen in Europa auch schnellstmöglich einen militĂ€rischen Binnenmarkt. Es muss endlich die BĂŒrokratie abgebaut werden, auch wenn es darum geht, militĂ€risches Material von Land zu Land oder von Bundesland zu Bundesland zu transportieren. Das muss jetzt immer wieder deklariert werden und das kostet unvorstellbar viel Zeit, die wir nicht haben. Zudem ist der MilitĂ€rsektor hochrelevant fĂŒr die technologische Weiterentwicklung auch in der zivilen Industrie. Ohne militĂ€rische Forschung gĂ€be es zum Beispiel kein Internet und kein GPS.
Frage: Falls ein Frieden gelingt, stellt sich die Frage, wer den Wiederaufbau in der Ukraine bezahlt. Sollten dafĂŒr nicht die eingefrorenen russischen Vermögenswerte verwendet werden?
Strack-Zimmermann: Die in Europa eingefrorenen russischen Gelder mĂŒssen komplett dafĂŒr genutzt werden. Das Argument, dass bei einer endgĂŒltigen Beschlagnahmung der eingefrorenen russischen Vermögen zugunsten der Ukraine der europĂ€ische Geldmarkt fĂŒr Kunden nicht mehr interessant sei, ist dummes Zeug. Es geht schlieĂlich um ein mörderisches Regime, das ĂŒber Leichen geht. Wenn die Banker von Vertrauen und VerlĂ€sslichkeit reden, dann frage ich sie im Gegenzug: Warum bauen sie auf die VerlĂ€sslichkeit eines Kriegsverbrechers? An dem Wiederaufbau muss sich Russland beteiligen, und sei es durch die Einziehung seines Auslandsvermögens. Aber auch ganz Europa muss helfen. Nicht nur mit Geld, sondern auch mit konkretem Handeln. Ich erinnere daran: In Deutschland ist es nach dem Zweiten Weltkrieg nur gelungen, weil uns viele Nationen unterstĂŒtzt und auf die Bevölkerung gesetzt haben.
Quelle: Freie Demokratische Partei am 20. August 2025
Foto: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (c) FDP