PISA-Studie: sinkende Leistungen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften

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Geringere Kompetenzen bei 15-JĂ€hrigen als 2018

PISA-Studie: sinkende Leistungen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften

‱ 15-JĂ€hrige können alltagsnahe Aufgaben schlechter lösen als 2018

‱ AbwĂ€rtstrend in Deutschland nach anfĂ€nglichen Verbesserungen in PISA-Studien

‱ Anteile besonders leistungsschwacher Jugendlicher bei bis zu 30 Prozent

Die Jugendlichen in Deutschland schneiden in Mathematik, im Lesen und in Naturwissenschaften deutlich schlechter ab als noch 2018. Dies zeigt die neue PISA-Studie, die heute in Berlin vorgestellt wurde. Rund ein Drittel der getesteten 15-JĂ€hrigen hat in mindestens einem der drei Bereiche nur sehr geringe Kompetenzen. Die Ergebnisse bestĂ€tigen einen AbwĂ€rtstrend, der sich in den vorherigen PISA-Studien bereits angedeutet hatte. Die SchĂŒler:innen erreichen in Mathematik und Lesen nur noch das Durchschnittsniveau der OECD-Staaten. Lediglich in den Naturwissenschaften liegen ihre Ergebnisse weiterhin darĂŒber.

Die PISA-Studie untersucht regelmĂ€ĂŸig, wie gut 15-jĂ€hrige SchĂŒler:innen gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit alltagsnahe Aufgaben in Mathematik, im Lesen und in den Naturwissenschaften lösen können. Die aktuelle Studie, die von der Organisation fĂŒr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordiniert und in Deutschland vom Zentrum fĂŒr internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen UniversitĂ€t MĂŒnchen (TUM) geleitet wird, wurde im FrĂŒhjahr 2022 durchgefĂŒhrt.

In vielen OECD-Staaten haben sich die durchschnittlichen Mathematik- und Lesekompetenzen der Jugendlichen im Vergleich zur vorherigen PISA-Studie von 2018 verringert. Dies gilt in geringerem Maße auch fĂŒr die naturwissenschaftliche Kompetenz.

In Deutschland sind die Leistungseinbußen in allen drei Bereichen ĂŒberdurchschnittlich groß. Deutschland liegt damit nur noch in den Naturwissenschaften signifikant ĂŒber dem Durchschnitt der OECD-Staaten (492 zu 485 Punkten). In Mathematik (475 zu 472 Punkten) und Lesen (480 zu 476 Punkten) entsprechen die Ergebnisse jetzt dem OECD-Durchschnitt, der in beiden Bereichen ebenfalls gesunken ist.

Nach der ersten PISA-Studie 2000 hatte Deutschland seine Ergebnisse zunÀchst verbessern und auf hohem Niveau halten können. In den letzten PISA-Runden hatte sich allerdings ein AbwÀrtstrend angedeutet. Die Ergebnisse in Mathematik und Naturwissenschaften liegen nun unter dem Niveau der PISA-Studien der 2000er Jahre, als Mathematik (PISA 2003) und Naturwissenschaften (PISA 2006) jeweils zum ersten Mal vertieft untersucht wurden. Beim Lesen entsprechen die Ergebnisse in etwa der PISA-Studie 2000, als Lesen erstmals Studienschwerpunkt war.

Nur sehr wenige OECD-Staaten konnten zwischen 2018 und 2022 Teile ihrer Ergebnisse verbessern, beispielsweise Japan im Lesen und in den Naturwissenschaften sowie Italien, Irland und Lettland in den Naturwissenschaften. In Mathematik haben die Jugendlichen in Japan und Korea im Schnitt die höchsten Kompetenzen. Im Lesen stehen Irland, Japan, Korea und Estland an der Spitze. In den Naturwissenschaften erreichen Japan, Korea, Estland und Kanada die besten Werte.

Schwerpunkt der achten PISA-Studie: Mathematik

Bei der achten PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) wurden in Deutschland die Kompetenzen von rund 6.100 reprĂ€sentativ ausgewĂ€hlten 15 Jahre alten SchĂŒler:innen an rund 260 Schulen aller Schularten getestet. Zudem wurden die Jugendlichen zu ihren Lernbedingungen und Einstellungen sowie ihrer sozialen Herkunft befragt. Schulleiter:innen, LehrkrĂ€fte und Eltern beantworteten Fragen zu Gestaltung und Ressourcen des Unterrichts sowie zur Rolle des Lernens in der Familie. Weltweit nahmen rund 690.000 SchĂŒler:innen an der Studie teil. Jede PISA-Studie nimmt einen Bereich intensiver unter die Lupe, diesmal Mathematik.

Der deutsche Teil der Studie wird im Auftrag der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums fĂŒr Bildung und Forschung vom ZIB geleitet, an dem neben der TUM das Leibniz-Institut fĂŒr Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) und das Leibniz-Institut fĂŒr die PĂ€dagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) beteiligt sind.

Mehr SchĂŒler:innen erreichen nur sehr geringe Kompetenzen

Entsprechend der im Test erreichten Punktzahlen ordnet die Studie die SchĂŒler:innen sechs Kompetenzstufen zu. SchĂŒler:innen, deren Kompetenzen nicht ĂŒber der Kompetenzstufe eins liegen, benötigen zusĂ€tzliche Förderung, um eine berufliche oder weitere schulische Ausbildung bewĂ€ltigen und an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben zu können.

Rund ein Drittel der 15-JĂ€hrigen hat in mindestens einem der drei getesteten Felder nur diese sehr geringen Kompetenzen. Circa jeder sechste Jugendliche hat in allen drei Bereichen deutliche Defizite. Die Anteile dieser besonders leistungsschwachen Jugendlichen sind seit 2018 grĂ¶ĂŸer geworden und betragen in Mathematik rund 30 Prozent, im Lesen rund 26 Prozent und in den Naturwissenschaften rund 23 Prozent.

Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die besonders leistungsstarken SchĂŒler:innen. In Mathematik ist ihr Anteil auf rund neun Prozent und im Lesen auf rund acht Prozent gesunken. In den Naturwissenschaften blieb dieser Anteil bei rund zehn Prozent stabil.

Faktor Corona-Pandemie

Aus den Befragungen von Schulleiter:innen und SchĂŒler:innen lassen sich Hinweise fĂŒr mögliche GrĂŒnde fĂŒr die verschlechterten Ergebnisse ableiten: Zum einen gehen die Forschenden davon aus, dass die Schulschließungen wĂ€hrend der Corona-Pandemie einen negativen Effekt auf den Kompetenzerwerb hatten. In Deutschland wurde der Distanzunterricht weniger mit digitalen Medien und mehr mit Materialien, die an die Jugendlichen geschickt wurden, bestritten als im OECD-Durchschnitt. „Deutschland war im internationalen Vergleich nicht gut auf den Distanzunterricht vorbereitet, was die Ausstattung mit DigitalgerĂ€ten angeht – hat dann aber aufgeholt“, sagt die Studienleiterin Prof. Doris Lewalter, Bildungsforscherin an der TUM und Vorstandsvorsitzende des ZIB. Förderangebote wurden von weniger als der HĂ€lfte der leistungsschwĂ€cheren SchĂŒler:innen wahrgenommen.

Die Auswertung der internationalen Daten zeigt allerdings, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Dauer der Schulschließungen und LeistungsrĂŒckgĂ€ngen zwischen 2018 und 2022 gibt. Es gibt sowohl Staaten mit relativ wenigen Schließtagen, die deutlich schlechtere Ergebnisse vorweisen als 2018, als auch Staaten mit relativ vielen Schließtagen, die nur geringfĂŒgig weniger oder sogar etwas mehr Punkte erreichen als 2018.

Faktor Sprachschwierigkeiten

Ein zweiter möglicher Faktor fĂŒr die ErklĂ€rung der Ergebnisse im Studienschwerpunkt Mathematik: In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen den Kompetenzen der Jugendlichen und dem sozioökonomischen Status der Familien wie auch ihrem Zuwanderungshintergrund weiterhin stark ausgeprĂ€gt. Die 15-JĂ€hrigen, die selbst zugewandert sind, haben heute deutlich geringere Kompetenzen in Mathematik als die entsprechende Gruppe im Jahr 2012, in dem diese Frage zuletzt untersucht wurde. In den Familien dieser Jugendlichen wird heute zu Hause seltener Deutsch gesprochen als in den entsprechenden Familien 2012.

„Dieser Befund erklĂ€rt die Gesamtergebnisse aber nur zum Teil“, betont Lewalter. „Die mathematischen Kompetenzen der Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund sind im Vergleich zu 2012 ebenfalls geringer geworden – sogar deutlicher als bei den Jugendlichen, deren Eltern zugewandert, die aber selbst in Deutschland geboren sind.“

Faktor Interesse und Motivation

Um den lĂ€ngerfristigen Negativtrend zu erklĂ€ren, schauen die Forschenden deshalb auch auf die Befragungen der SchĂŒler:innen zu Motivation, Einstellungen und Unterrichtsgestaltung. Im Vergleich zum Jahr 2012 haben die Jugendlichen weniger Freude und Interesse an Mathematik. Zugenommen hat dagegen die Ängstlichkeit gegenĂŒber dem Fach. Zudem sehen die 15-JĂ€hrigen weniger Nutzen darin, Mathematik zu lernen.

„Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass sich die SchĂŒler:innen weniger durch ihre Mathematiklehrkraft unterstĂŒtzt fĂŒhlen – diese UnterstĂŒtzung ist aber ein wichtiges Merkmal fĂŒr guten Unterricht. Zudem nehmen die Jugendlichen den von ihren LehrkrĂ€ften intendierten Lebensweltbezug im Unterricht nur in Teilen wahr. Das erschwert es ihnen zu erkennen, welche Bedeutung Mathematik in ihrem Leben spielt – worunter wiederum die Motivation fĂŒr das Fach leiden kann“, sagt Lewalter.

„Gemeinsame Kraftanstrengung“

Als wichtigste Konsequenzen aus den PISA-Ergebnissen empfehlen die Bildungsforscher:innen:

‱ eine systematische Diagnose und Förderung von Sprach- und Lesekompetenz von der Vorschule bis zum Sekundarbereich. „Die Beherrschung der deutschen Sprache ist die Basis fĂŒr jeden schulischen Erfolg“, sagt Lewalter.

‱ eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Unterrichts und den Einbezug digitaler Medien. „Die LebensrealitĂ€ten der Jugendlichen Ă€ndern sich rasant und damit auch die Ausgangslage fĂŒr die Anwendung von Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften“, sagt Lewalter.

‱ eine bedarfsorientierte Ressourcenzuwendung, um die Ausstattung von Schulen zu verbessern, die viele Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien und mit Zuwanderungshintergrund unterrichten.

„Deutschland hat es nach der ersten PISA-Studie 2000 geschafft, mit wirksamen Förderprogrammen die Kompetenzen der Jugendlichen deutlich zu verbessern“, sagt Lewalter. „Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik, Schulen und Gesellschaft kann es wieder möglich sein, einen solchen Aufschwung einzuleiten.“

Quelle: Technische UniversitĂ€t MĂŒnchen (TUM)

PISA 2022: Veröffentlichung des neuen Bildungs-Berichts | 05.12.2023

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