Modernisierung des Justizvollzugs in Sachsen-Anhalt – Kabinett bringt Gesetzesnovellierung auf den Weg

Veröffentlicht in: Sachsen-Anhalt | 0

Magdeburg. Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf des Ministeriums für Justiz und Verbraucherschutz zur Neuregelung des Justizvollzugrechts des Landes Sachsen-Anhalt beschlossen. Die finale Entscheidung obliegt nun dem Landtag von Sachsen-Anhalt.

Sachsen-Anhalts Ministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Franziska Weidinger (Foto): „Der Justizvollzug in Sachsen-Anhalt wird mit dem neuen Justizvollzugsrecht moderner, zudem wird der Stellenwert von Arbeit hinter Gittern gestärkt. Erwerbstätigkeit ist im Justizvollzug ein zentrales Element der Resozialisierung von Gefangenen. Gefangene, die arbeiten und im Rahmen ihrer Fähigkeiten auf diese Weise Leistungswillen zeigen, erfahren Anerkennung und haben die Möglichkeit, mit dem erarbeiteten Geld Wiedergutmachung zu leisten. Darüber hinaus bereitet Arbeit Gefangene gezielt auf ihre Entlassung vor und unterstützt sie auf dem Weg in ein möglichst straffreies Leben.“

Die vorgesehenen Aktualisierungen im Justizvollzugsrecht des Landes Sachsen-Anhalt betreffen insbesondere:

Aufnahme von Zweck und Funktion von Arbeit in das Justizvollzugsgesetzbuch

Mit der Aktualisierung des Justizvollzugsrechts werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Mit Urteil des Zweiten Senats vom 20. Juni 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht Regelungen des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen sowie Regelungen des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes für mit dem Resozialisierungsgebot aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar. Kern dieser Entscheidung waren hierbei die Regelungen zur Gefangenenarbeit und deren Vergütung. Sachsen-Anhalt ist von diesem Urteil zwar nicht unmittelbar betroffen, es besteht aber trotz deutlicher Unterschiede im gesetzlich verankerten Resozialisierungskonzept auch für das Justizvollzugsrecht in Sachsen-Anhalt ein Anpassungsbedarf, um den Kernaussagen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen.

Hierbei werden wesentliche Regelungen zum Zweck der Gefangenenbeschäftigung und Vergütung konkretisiert bzw. neu in das Justizvollzugsgesetzbuch aufgenommen. Dabei wird die allgemeine Arbeitspflicht in eine individuelle Arbeitspflicht geändert. Dies erfolgt zur Schärfung des am konkreten Behandlungsbedarf orientierten Resozialisierungskonzeptes. Dieses stellt darauf ab, dass im Rahmen des individuellen Vollzugsplans die Erforderlichkeit von Arbeits- und Ausbildungsmaßnahmen festgestellt wird. Ziel des normativ gestalteten Justizvollzugs ist es mit Blick auf die Resozialisierung und die soziale Integration, den Gefangenen die Fähigkeit und den Willen zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung zu vermitteln, damit diese nach der Haftentlassung in der Gesellschaft ohne weitere Straftaten und Rechtsbrüche leben und zugleich die Möglichkeiten unserer Gesellschaft nutzen können.

Neue Vergütungsregelungen für Gefangenenarbeit

Weiterhin wird die Vergütung für die Beschäftigungszeiten angehoben, um der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer Vergütung, die den Gefangenen einen erkennbaren Vorteil belässt und damit den Mehrwert von Arbeit unterstreicht, nachzukommen. Es ist eine Erhöhung der Eckvergütung von 9 auf 15 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV für Gefangene und entsprechend für Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung von 16 auf 22 Prozent derselben Bezugsgröße vorgesehen. Dies führt dazu, dass zum Beispiel ein Gefangener, der sechs Stunden täglich einer Tätigkeit mit durchschnittlichen Anforderungen nachgeht, statt der bislang vorgesehenen rund 253 Euro künftig knapp 421 Euro im Monat dazuverdienen kann. Das Geld kann insbesondere zur Entschädigung von Opfern und zur Tilgung von Schulden verwendet werden. Der zugrunde liegende Stundenlohn für eine Tätigkeit mit durchschnittlichen Anforderungen in den Justizvollzugseinrichtungen des Landes Sachsen-Anhalt würde im Jahr 2025 somit von aktuell 2,02 Euro auf 3,37 Euro deutlich ansteigen.

Einführung nicht-monetärer Vergütungsbestandteile

Die Gefangenen können sich zusätzlich bis zu acht Freistellungstage je Jahr erarbeiten, die bei hierfür geeigneten Gefangenen auch zur Verkürzung der Haftzeit genutzt werden können. Erarbeitete Freistellungstage können Gefangene unbeachtet dessen beispielsweise als arbeitsfreie Tage in der Haft nutzen.

Erlass von Verfahrenskosten des vorangegangenen Gerichtsverfahrens

Darüber hinaus wird als zusätzliche Anerkennung von Beschäftigung die Möglichkeit eines (teilweisen) Erlasses von Verfahrenskosten durch Ausübung von Beschäftigung eingeführt. Zukünftig können je fünf Prozent der Verfahrenskosten pro sechs Monate zusammenhängender Arbeitszeit erarbeitet und im Anschluss erlassen werden.

Zusätzlich zu den durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2023 veranlassten Änderungen sollen u. a. folgende Neuregelungen eingeführt werden:

Vollzugsrechtliche Grundlagen für die Einführung des „Day-by-Day“-Modells

Mit der Novellierung des Justizvollzugsrechts wird die Einführung einer Regelung für Gefangene ermöglicht, auch in der Haft durch unbezahlte freie Arbeit weitere Ersatzfreiheitsstrafen und Hafttage abzuwenden bzw. zu reduzieren. Nach dem „Day-by-Day“-Modell wird künftig die tageweise Leistung freier Arbeit auch nach Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe und andauernder Vollstreckung inner- oder bei geeigneten Gefangenen außerhalb der Justizvollzugsanstalt ermöglicht und damit eine Verkürzung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe bewirkt.

Maßnahmen zur Verhinderung des Einbringens, des Besitzes und des Konsums berauschender Stoffe in Form von neuen psychoaktiven Stoffen

Der Justizvollzug in vielen Bundesländern, so auch im Land Sachsen-Anhalt, sieht sich zunehmend mit dem Einbringen, dem Besitz und dem Konsum von neuen psychoaktiven Stoffen (npS) konfrontiert. Der Konsum von npS kann zu erheblichen gesundheitlichen Folgen bei dem Betroffenen und somit auch zu einer Gefährdung von Sicherheit oder Ordnung der Anstalt führen. Daher ist es erforderlich, das Einbringen von npS in eine Justizvollzugseinrichtung wirksam durch technische Detektionsmaßnahmen (z. B. durch den Einsatz von elektronischen Spurendetektoren) zu unterbinden und auch die Ausgabe von eingehenden (mutmaßlich mit npS getränkten) Schriftstücken im Original durch die Ausreichung von Fotokopien zu ersetzen. Entsprechende Rechtsgrundlagen sieht der Gesetzentwurf vor. Angesichts von zunehmend zu verzeichnenden Manipulationen sollen aus demselben Grund eingehende Schreiben von Verteidigern an Gefangene mit einem gesonderten Begleitschreiben an die Justizvollzugseinrichtung gerichtet werden, um die Authentizität des Absenders besser prüfen zu können und so einem Missbrauch von gesetzlich privilegiertem Schriftgut wirksam entgegenzutreten.

Quelle: Staatskanzlei und Ministerium für Kultur

Foto: Franziska Weidinger © MJ LSA/Fotoatelier Mentzel