I.K.A.R.U.S Day: Großeinsatz im Steinbruch für Feuerwehren und Malteser Rettungsdienst im Harz

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Ballenstedt. Ein Kind teilweise verschüttet, ein Arbeiter nach einem Hochspannungsunfall mehr als drei Meter in die Tiefe gestürzt, eine Person mit lebensgefährlichem Aortenaneurysma – rund 60 Einsatzkräfte des Malteser Rettungsdienstes, der Feuerwehren Ballenstedt, Rieder, Operode, Badeborn und Radisleben sowie drei Notärzte standen am Sonnabend im Großeinsatz im Steinbruch „Harzer Grauwacke Rieder“.

Das schwere Einsatzgeschehen ist zum Glück nur eine Übung. Aber eine, die es in sich hat. Nicht zuletzt, weil Rettungseinsätze auf einem Gelände mit Fahrzeugen so groß wie kleinen Häusern, steilen Abbruchkanten, manngroßen Gesteinsbrocken und abschüssigem, feinem, unberechenbaren Geröll selbst für erfahrene Einsatzkräfte nicht alltäglich ist. Es ist I.K.A.R.U.S. Day in Ballenstedt – der Interdisziplinäre Katastrophenschutz Rettungsdienst Uebungs- und Simulationstag.

Drei Szenarien wurden am Sonnabend im Steinbruch „Harzer Grauwacke Rieder“ trainiert. Die Übungen sind gespickt mit besonderen Herausforderungen: So muss ein Kind reanimiert werden, das im Steinbruch abgerutscht ist und teilweise verschüttet wurde. Auch wenn die Sonne hoch Himmel steht und den Rettern in ihrer Kluft sichtlich warm ist, herrschen für die Übung „kalte Tage Ende Herbst, Anfang Winter. Das Kind ist inzwischen stark unterkühlt“, schildert Malteser Notfallsanitäter und Praxisanleiter Lars Einecke die Übungssituation. „Die Kollegen im Rettungsdienst müssen deshalb bei der Reanimation anders agieren. Aber vor allem brauchen Sie Geduld. Denn die Bergung bei losem Gesteinsmaterial in einem Steinbruch ist auch für erfahrene Feuerwehrkollegen nicht einfach.“ Immer könne Material nachrutschen und damit auch Einsatzkräfte gefährden.

An anderer Stelle müssen die Teams höchste Sensibilität in der Handhabung des technischen Geräts beweisen. Eine Person in einem sogenannten Dumper, einem Fahrzeug im Steinbruch, benötigt medizinische Hilfe: „Da müssen die Retter erstmal reinkommen und überlegen, wie sie die Person aus dem Fahrzeug holen. Denn der Patient hat ein Aortenaneurysma. Ein falscher Handgriff, eine unbedachte Erschütterung und es kommt zur Dissektion. Platzt das Aneurysma in der Hauptschlagader, wäre der Patient sofort tot“, sagt Einecke. Und in diesem Übungsfall verschlechtert sich die Situation zusehends. „Um das Risiko zu minimieren, braucht der Patient eine Schutznarkose und muss intubiert werden.“

Auch an einem der höchsten Punkte im Steinbruch geht es um Millimeterarbeit und die Frage, wie ein Mensch aus einem Trichter für Gesteinsbruch gerettet wird. Für die eigentümliche Landschaft mit ihren steil abfallenden Abbruchkanten hat in diesem Moment niemand einen Blick. Hier geht es um einen Menschen, der nach einem Hochspannungsunfall mehr als drei Meter in die Tiefe gestürzt ist. „Diese Distanz ist im Rettungsdienst ein wichtiger Marker. Bei solchen Patienten liegt in der Regel ein Polytrauma vor, also eine Situation, in der mindestens eine Verletzung oder die Kombination aller zum Tode führen kann“, erklärt Einecke, der seit 23 Jahren hauptberuflich im Rettungsdienst arbeitet.

Ohne weiteres können die Retter nicht zur Patientin vordringen. Erst müssen die Notfallsanitäter mit Gurtzeug und Seilen gesichert und dann kontrolliert in den Trichter absteigen. Nach und nach wird Rettungsgerät am Seil herabgeführt, die Verletzungen abgeklärt, eine Rettungsdecke ausgebreitet, eine Infusion gelegt, der Überwachungsmonitor angeschlossen. Und dann die entscheidende Frage: Wie bekommen die Einsatzkräfte die Patienten aus der Tiefe heraus? Das ist der Moment für die Feuerwehr. Die schweren Maschinen des Drehleiterwagens starten. Am Rettungskorb wird eine Trage befestigt, das Fahrzeug vorsichtig zum Trichter manövriert, um die Trage herablassen zu können, für die der Platz gerade eben so reicht …

Mehr als ein halbes Jahr lang haben die Organisatoren die Szenarien des Großeinsatzes geplant. Neben dem Beruf. Auch wenn für jeden der Einsatzkräfte vor Ort mindestens 30 Weiterbildungsstunden anstehen, ist I.K.A.R.U.S. eine besondere Situation. „Wir versuchen, einmal im Jahr in so großem Rahmen zu trainieren. In der Vergangenheit zum Beispiel auch mit der Polizei gemeinsam. Während der Corona-Pandemie war vieles aber nicht möglich. Deshalb sind wir sehr froh, dass so viele Kollegen die Chance zur gemeinsamen Übung genutzt haben. Während ihrer Freizeit und mancher trotz Dienst am Abend“, betont Einecke. Das Fazit am Ende des Tages: Die Einsatzübung hat viel positives Feedback bekommen und die fachdienstübergreifende und nötige enge Zusammenarbeit gestärkt.

Dass die Einsatzkräfte im Steinbruch der Mitteldeutsche Baustoffe GmbH trainieren durften, kam nicht von ungefähr: Die Unternehmensleitung hat das Gelände explizit für die Übung angeboten. Alltäglich sei ein solches Angebot nicht. Doch: „Die Einsatzszenarien, die wir hier geprobt haben, sind auf einem solchen Gelände absolut realistisch. Deshalb lag dem Unternehmen sehr viel daran, dass wir in dieser Umgebung mit unseren Fachdiensten trainieren“, betont Einecke.

Und es war nicht die einzige Unterstützung, die Feuerwehrkameraden, Rettungskräfte und Notärzte für diese Großübung bekommen haben. Zwei Mahlzeiten sind von lokalen Unternehmen gespendet worden – das Frühstück vom Rewe Markt in Ballenstedt, das Abendessen von Keunecke Feinkost in Badeborn. Für das Mittagessen ist der Malteser Versorgungszug mit der Feldküche angerückt.

Text/Fotos: Malteser Hilfsdienst Magdeburg / Mandy Hannemann