Magdeburg. Sachsen-Anhalt richtet die Eingliederungshilfe neu aus. Nach vielen Verhandlungsrunden und einer abschließenden, siebenstündigen Sitzung am gestrigen Tag haben sich das Sozialministerium und die Verbände der Leistungserbringer auf einen neuen Landesrahmenvertrag verständigt. Dieser regelt künftig die Erbringung von Leistungen für der Eingliederungshilfe.
Der erzielte Kompromiss soll zeitnah umgesetzt werden. Dazu werden die Leistungserbringerverbände nun ein formelles Zustimmungsverfahren in ihrer jeweiligen Mitgliedschaft durchführen, bevor der Rahmenvertrag unterschrieben werden kann.
Sozialministerin Petra Grimm-Benne (Foto): „Der neue Rahmenvertrag wird die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt deutlich stärken. Nach eineinhalb Jahren intensiver Verhandlungen konnten wir einen Abschluss erzielen, mit dem es uns gelingt, das Bundesteilhabegesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen-Anhalt gezielter als bisher umzusetzen. Mein Dank gilt allen Verhandlungspartnern. Der neue Rahmenvertrag ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel. Durch maßgeschneiderte und flexible Angebote wollen wir die Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe und Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt spürbar verbessern.“
„Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen im neuen Landesrahmenvertrag einen wichtigen Schritt zur Herstellung dringend benötigter Rechtssicherheit für die Träger und für Menschen mit Behinderung. Wir hätten uns im Sinne der Qualität der Betreuung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein besseres Ergebnis gewünscht. Dieser Kompromiss stellt aktuell das maximal Erreichbare dar.“, so Katja Fischer, Vorsitzende des Vorstandes LIGA der Wohlfahrtsverbände.
Zu den Inhalten:
Im Mittelpunkt des neuen Landesrahmenvertrags stehen mehr Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen.
Jeder Mensch, ob mit oder ohne Behinderung, hat Anspruch auf einen individuellen Lebensentwurf. Das Bundesteilhabegesetz sieht daher vor, dass Menschen mit Behinderungen nicht länger als homogene Gruppe mit standardisierten Angeboten betrachtet werden. Ihre Wünsche und Vorstellungen bei der Gestaltung von Teilhabeleistungen werden künftig verbindlich berücksichtigt. Ein zentraler Bestandteil des neuen Rahmenvertrags ist daher die Modularisierung der Leistungen. Dadurch wird eine stärker personenzentrierte Unterstützung anstelle pauschaler Komplexleistungen ermöglicht. „Wir gehen weg vom einrichtungsbezogenen Denken und bisherigen Pauschalleistungen hin zu individuellen Bedarfen und Wünschen. Künftig soll es mehr um echte Teilhabe jedes einzelnen Menschen gehen.
In der sozialen Teilhabe können die benötigten Leistungen individuell aus Modulen zusammengestellt werden, um passgenau die Unterstützung zu erhalten, die für ein selbstbestimmtes Leben notwendig ist“, so die Ministerin. Leistungsumfang und Inhalte werden künftig über einen transparenten Leistungskatalog festgelegt, wie ihn das Bundesteilhabegesetz vorsieht. Künftig soll beispielsweise eine leistungsberechtigte Person, die in einer eigenen Wohnung lebt, gezielt verschiedene Leistungen unterschiedlicher Anbieter auswählen können – etwa Assistenz im Alltag oder Unterstützung bei Freizeitaktivitäten.
Damit verabschiedet sich das Land vom einrichtungsbezogenen Denken und standardisierten Angeboten hin zu individuell zugeschnittenen Leistungen. Der personenzentrierte Ansatz soll sicherstellen, dass jeder Mensch mit Behinderung in Sachsen-Anhalt die Möglichkeit erhält, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Zugleich sollen mehr Alternativen zur Beschäftigung in Werkstätten geschaffen werden. Dafür sieht der neue Rahmenvertrag den Abschluss von Zielvereinbarungen mit Werkstätten für Menschen mit Behinderungen vor, um Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gezielt zu fördern und zu realisieren. „Unser Ziel ist es, mehr Menschen mit Behinderungen eine Perspektive auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen. Dieser Schritt zahlt sich auch für Unternehmen aus, die alle Arbeitsmarktpotenziale ausschöpfen müssen, um ihren Fachkräftebedarf zu decken“, so die Ministerin.
Hintergrund:
Um die Eingliederungshilfe neu auszurichten, hatte das Land den entsprechenden Rahmenvertrag zum Jahresende 2024 gekündigt. Für den Übergang bis zum Abschluss der Verhandlungen hatte das Kabinett in Magdeburg eine Übergangsverordnung beschlossen, die am 1. Januar 2025 in Kraft trat. Rechtsgrundlage dafür ist § 131 Abs. 4 SGB IX. Somit wurde und wird gewährleistet, dass alle Menschen ihre Leistungen nahtlos weiter erhalten.
Zu betonen ist, dass auf dem Rücken von Menschen mit Behinderungen mitnichten ein Sparkurs durchgeführt wird. Im Jahr 2021 sind Ausgaben in Höhe von 572 Millionen Euro getätigt worden, 2023 sind es 658 Millionen gewesen, für 2025 sind rund 711 Millionen Euro sowie für 2026 rund 723 Millionen Euro eingeplant.
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Text/Foto: Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt am 08. Oktober 2025