Berlin – Zu der Situation in den Kinderkliniken in Deutschland erklĂ€rt Dr. Klaus Reinhardt (Foto), PrĂ€sident der BundesĂ€rztekammer:
âDie Lage in den Kinderkliniken ist dramatisch. Vielerorts sind die Notaufnahmen ĂŒberlastet und alle Betten auf den Stationen belegt. Selbst schwerkranke Kinder mĂŒssen in weit entfernte KrankenhĂ€user transportiert werden. Das alles ist nur vordergrĂŒndig der aktuellen Infektionswelle bei respiratorischen Atemwegserkrankungen geschuldet. Die derzeitige Lage fĂŒhrt uns vielmehr besonders drastisch vor Augen, was in Deutschland bei der gesundheitliche n Versorgung von Kindern und Jugendlichen falsch lĂ€uft. Schon seit Jahren leiden unsere Kinderkliniken an akutem Personalmangel und chronischer Unterfinanzierung. Unter den Fehlanreizen des Fallzahl-abhĂ€ngigen DRG-Systems, das die in der PĂ€diatrie besonders hohen Vorhaltekosten nicht berĂŒcksichtigt, hat die Versorgung in den letzten zwanzig Jahren seit EinfĂŒhrung des Fallpauschalensystems in Deutschland extrem gelitten. Ăberlastetes Personal, sinkende BehandlungsqualitĂ€t und drohende Unterversorgung sind die Folge â nicht erst in diesem Winter, sondern schon seit Jahren. Kinder und Jugendliche zahlen damit den Preis fĂŒr politische VersĂ€umnisse.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Ihre gesundheitliche Versorgung ist besonders zeit- und personalintensiv. Doch trotz steigender Fallzahlen ist die Zahl der PĂ€diatriebetten zwischen 1991 und 2020 um rund 43 Prozent gesunken. Die Zahl der Abteilungen fĂŒr Kinder- und Jugendmedizin ging im selben Zeitraum von 440 zurĂŒck auf 334. Hinzu kommt: Von den zur VerfĂŒgung stehenden Betten können viele aufgrund des Personalmangels nicht belegt werden.
Daher dĂŒrfte der aktuelle Notstand niemanden ĂŒberraschen. Es ist gut, dass der Bundesgesundheitsminister endlich die Reform der VergĂŒtungsregeln angeht. Die gesetzlichen Neuregelungen im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz und die VorschlĂ€ge der Regierungskommission gehen grundsĂ€tzlich in die richtige Richtung. Unter anderem soll ein Sonderfonds eingerichtet werden, aus dem ein Aufschlag fĂŒr die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der PĂ€diatrie und der Kinderchirurgie berechnet werden soll. Ein besonders wichtiger Schritt ist die angekĂŒndigte BerĂŒcksichtigung der Vorhaltekosten. Aber das reicht nicht. Wir können eine gute medizinische Versorgung nur dann sicherstellen, wenn wir gleichzeitig etwas gegen den akuten FachkrĂ€ftemangel tun. Hier stehen auch die KrankenhĂ€user in der Pflicht. Es reicht nicht aus, stĂ€ndig ĂŒber fehlendes Personal zu klagen. Die KliniktrĂ€ger mĂŒssen selbst aktiv werden, um die LĂŒcken zu schlieĂen.
Das gilt auch in der Ă€rztlichen Weiterbildung. Mit jeder geschlossenen Kinderklinik gehen auch dringend benötigte WeiterbildungsplĂ€tze fĂŒr KinderĂ€rztinnen und -Ă€rzte verloren. So verschĂ€rft sich der Personalmangel immer weiter.
Klar ist, dass der Personalmangel nicht ĂŒber Nacht beseitigt werden kann. Gefragt sind pragmatische Lösungen, die kurzfristig wirken. Wir brauchen einen âSofortbonus Kinderpflege“. Bessere Verdienstmöglichkeiten könnten PflegekrĂ€fte in Teilzeit dazu motivieren, in eine VollzeittĂ€tigkeit zu wechseln und Ehemalige zu einer RĂŒckkehr in den Pflegeberuf bewegen. Gleichzeitig mĂŒssen dringend mehr Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger ausgebildet werden. GenĂŒgend und gut qualifiziertes Personal ist die Grundvoraussetzung fĂŒr eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung.
AuĂerdem wĂ€re es denkbar, Klinikmitarbeiter im Rahmen eines regionalen Personaltransfers zeitweilig bei Bedarf in anderen, besonders stark ausgelasteten KrankenhĂ€usern einzusetzen. Wenn solche Transfers schnell und unbĂŒrokratisch möglich sind und von entsprechenden finanziellen Anreizen flankiert werden, könnte das einen Beitrag dazu leisten, Belastungsspitzen abzumildern.“
Foto (c) BundesÀrztekammer