Bundesgerichtshof entscheidet über Sonderbeiträge eines ehrenamtlichen Bürgermeisters an seine Partei

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Urteil vom 31. Januar 2023 – II ZR 144/21

Der für das Gesellschaftsrecht einschließlich des Vereinsrechts zuständige II. Zivilsenat hat entschieden, dass eine politische Partei einen parteiangehörigen ehrenamtlichen Bürgermeister auf Grundlage ihrer Satzung auf Zahlung eines Teils seiner Aufwandsentschädigung als Sonderbeitrag (sog. Amts- bzw. Mandatsträgerbeitrag) gerichtlich in Anspruch nehmen kann.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Der Kläger ist ein rechtlich selbständiger Kreisverband der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU). Der Beklagte war von 1972 bis zu seinem Parteiaustritt im November 2019 Mitglied des Klägers. Im Jahr 2015 wurde er zum ehrenamtlichen Bürgermeister einer Gemeinde in Sachsen-Anhalt gewählt. Zur Bürgermeisterwahl war er nicht als Kandidat des Klägers angetreten, sondern als Einzelkandidat ohne finanzielle oder personelle Unterstützung durch den Kläger. Für seine ehrenamtliche Tätigkeit erhielt er eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 765 €.

Der Kläger hat den Beklagten gestützt auf § 6 Abs. 4 der Finanz- und Beitragsordnung der Satzung des CDU-Landesverbandes auf Zahlung von Sonderbeiträgen in Höhe von insgesamt 740,46 € für die Zeit von Januar 2018 bis November 2019 in Anspruch genommen. Er ist der Auffassung, die in der Satzung geregelten Sonderbeiträge könnten vor den ordentlichen Gerichten eingeklagt werden und der Beklagte sei zur Zahlung der geltend gemachten Beträge unabhängig davon, ob er bei der Wahl als Kandidat der Partei angetreten oder von dieser unterstützt worden sei, verpflichtet.

Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigt.

§ 6 Abs. 4 der Finanz- und Beitragsordnung der Landessatzung der CDU Sachsen-Anhalt (im Folgenden: FBO CDU-LSA) begründet einen gerichtlich durchsetzbaren zivilrechtlichen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Leistung der geltend gemachten Sonderbeiträge. Die Regelung ist als Satzungsbestimmung mit körperschaftsrechtlichem Charakter nach objektiven Gesichtspunkten auszulegen. Danach handelt es sich bei den dort geregelten Sonderbeiträgen um keine freiwilligen Leistungen oder nicht einklagbare unvollkommene Verbindlichkeiten der Amts- und Mandatsträger, sondern um gerichtlich durchsetzbare Zahlungspflichten.

Die Pflicht des Beklagten zur Leistung der Sonderbeiträge nach § 6 Abs. 4 FBO CDU-LSA ist nicht an eine konkrete vorangegangene Unterstützung durch den Kläger/seine Partei bei der Bürgermeisterwahl geknüpft. Nach dem Wortlaut der Regelung setzt die Pflicht zur Entrichtung der Sonderbeiträge keine konkrete Unterstützungshandlung der Partei voraus, sondern folgt allein aus der Amts- oder Mandatsträgerstellung des Parteimitglieds. Sinn und Zweck der Regelung gebieten keine andere Auslegung.

Die Erhebung von Amts- und Mandatsträgerbeiträgen dient der Gewinnung von Einnahmen unter Berücksichtigung der durch die Parteimitgliedschaft vermittelten Vorteile. Diese Vorteile können aber nicht nur in einer konkreten finanziellen oder personellen Unterstützung durch die Partei bei der jeweiligen Kandidatur bestehen. Vielmehr können auch ohne unmittelbaren Zusammenhang mit einer konkreten Wahl ggf. richtungsweisende Unterstützungshandlungen durch die Partei erfolgt sein.

Darüber hinaus kann auch ein Kandidat, der sein Amt ohne konkrete Unterstützung durch die Partei erlangt hat, gleichwohl als langjähriges Parteimitglied von wahlberechtigten Bürgern als solches wahrgenommen worden sein oder aufgrund seiner bekannten Parteizugehörigkeit bestimmte Stammwähler angesprochen haben, ohne dass diese Förderung und ihre (Mit-) Ursächlichkeit für seine Wahl quantifizierbar wären.

Verfassungsrechtlich begegnet die Erhebung eines Sonderbeitrags nach § 6 Abs. 4 FBO CDU-LSA von einem ehrenamtlichen Bürgermeister gemäß § 96 Abs. 3 Satz 1 Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (im Folgenden: KVG LSA) keinen Bedenken. Der in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Grundsatz des freien Mandats ist auf kommunale Mandatsträger nicht uneingeschränkt übertragbar. Für Angehörige kommunaler Vertretungskörperschaften wird die Freiheit des Mandats verfassungsrechtlich vielmehr aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitet und ist für ehrenamtliche Mitglieder der Kommunalvertretung in § 43 Abs. 1 KVG LSA einfachgesetzlich geregelt. Unabhängig davon, ob und inwieweit diese Mandatsfreiheit überhaupt für einen ehrenamtlichen Bürgermeister (ggf. für seine Tätigkeit im Gemeinderat) gilt, würde sie jedenfalls durch die Erhebung des Sonderbeitrags nicht verletzt. Da § 6 Abs. 4 CDU-LSA nicht an die inhaltliche Ausübung des jeweiligen Amts oder Mandats anknüpft, hat er keine die Freiheit des Mandats beeinträchtigende „Steuerungsfunktion“.

Der Rechtsgedanke des in Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gebots einer angemessenen Entschädigung der Abgeordneten zur Sicherung ihrer finanziellen Unabhängigkeit steht der Sonderbeitragsregelung ebenfalls nicht entgegen, weil ehrenamtlich Tätige nach § 35 Abs. 1 und 2 KVG LSA anders als Abgeordnete des Deutschen Bundestages keine Alimentation zur Sicherung ihres Lebensunterhalts erhalten, sondern nur Ersatz ihres Verdienstausfalls und ihrer Auslagen bzw. eine pauschalierte Aufwandsentschädigung.

Da die Aufwandsentschädigung mit ihrer Leistung in das private Vermögen des Amts- oder Mandatsträgers übergeht, liegt in der Entrichtung eines Teils dieser Entschädigung als Sonderbeitrag an die Partei auch keine verfassungswidrige indirekte staatliche Parteienfinanzierung. Schließlich ist die Erhebung von Sonderbeiträgen von ehrenamtlichen kommunalen Amts- und Mandatsträgern nach § 6 Abs. 4 FBO CDU-LSA auch mit dem aus Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG folgenden innerparteilichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, weil sie durch die oben dargelegte Möglichkeit der Unterstützung des Amts- und Mandatsträgers durch dessen Partei sachlich gerechtfertigt ist. Die Höhe der in § 6 Abs. 4 FBO CDU-LSA festgelegten Sonderbeiträge für ehrenamtliche kommunale Amts- und Mandatsträger ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ebenfalls nicht zu beanstanden.

Ein Verstoß gegen das in § 35 Abs. 3 KVG LSA enthaltene Übertragungs- und Verzichtsverbot liegt nicht vor. Die Regelung betrifft nur das Verhältnis der Kommune zum Empfänger der Entschädigung. Ist die Entschädigung mit ihrer Leistung durch die Kommune in das Vermögen des Empfängers übergegangen, steht diesem die weitere Verwendung der Mittel frei.

Vorinstanzen:

AG Naumburg – Urteil vom 11. Januar 2021 – 12 C 261/20

Die maßgeblichen Regelungen bzw. Vorschriften lauten:  

§ 6 Anlage B Finanz- und Beitragsordnung der Landessatzung der CDU-Sachsen-Anhalt in der bis zum 31. Mai 2019 geltenden Fassung:  

§ 6 weitere Beiträge (Sonderbeiträge)  

[…]  

(4) Kommunale Amtsträger entrichten monatlich neben ihrem satzungsmäßigen persönlichen Mitgliedbeitrag mindestens 3 % ihres Grundgehaltes sowie 15 % ihrer Aufwandsentschädigung als Sonderbeitrag an ihren Kreisverband; kommunale Mandatsträger entrichten in gleicher Weise 15 % ihrer Aufwandsentschädigung an ihren Kreisverband.  

[…]  

(7) Persönlichkeiten, die auf Vorschlag der CDU in eine politische Aufgabe gewählt bzw. berufen werden, für die eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird, entrichten für die Zeitdauer dieser Aufgabe einen Sonderbeitrag, dessen Höhe der Landesvorstand der CDU im Einzelfall festlegt, soweit dies nicht bereits in den Absätzen 2 bis 4 geschehen ist.  

in der ab dem ab dem 1. Juni 2019 geltenden Fassung:  

§ 6 Sonderbeiträge  

[…]  

(4) […]  

Ehrenamtliche Bürgermeister entrichten monatlich, neben ihrem satzungsmäßigen persönlichen Mitgliedbeitrag, 7,5% ihrer pauschalen Aufwandsentschädigung, gemäß Aufwandsentschädigungssatzung der zuständigen Gemeinde, als Sonderbeitrag an ihren Kreisverband.  

[…]  

(7) Von Persönlichkeiten, die auf Vorschlag der CDU ein Mandat oder Amt erhalten haben, werden Sonderbeiträge entsprechend den Regelungen in Absatz 2 bis 4 durch persönliche Vereinbarung erhoben. Abweichende Regelungen bedürfen eines Beschlusses des Kreis- oder Landesverbandes.  

Artikel 21 GG  

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.  

[…]  

Artikel 38 GG  

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.  

[…]  

Artikel 48 GG  

[…]  

(3) Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.  

Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KVG LSA)

§ 35 Entschädigung

(1) Wer ein Ehrenamt oder eine sonstige ehrenamtliche Tätigkeit ausübt, hat Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen und seines Verdienstausfalls. Bei Personen, die keinen Verdienst haben oder die Höhe des Verdienstausfalls nicht nachweisen können, wird als Ersatz für die aufgewendete Zeit eine angemessene Pauschale gewährt. Einzelheiten sind durch Satzung zu regeln.  

(2) Den in ein Ehrenamt oder zu sonstiger ehrenamtlicher Tätigkeit Berufenen können angemessene Aufwandsentschädigungen nach Maßgabe einer Satzung gewährt werden. […] Die Aufwandsentschädigung soll in Form einer monatlichen Pauschale gewährt werden. […] Soweit es dem Wesen des Ehrenamtes oder der sonstigen ehrenamtlichen Tätigkeit entspricht, kann neben oder anstelle einer monatlichen Pauschale auch eine anlassbezogene Pauschale gewährt werden. […]

(3) Die Ansprüche auf Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 sind nicht übertragbar; auf sie kann nicht verzichtet werden.  

[…]  

§ 43 Rechtsstellung der Mitglieder der Vertretung

(1) Die ehrenamtlichen Mitglieder der Vertretung üben ihr Ehrenamt im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, dem Gemeinwohl verpflichteten Überzeugung aus. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.

[…]

§ 96 Bürgermeister

(1) Der Bürgermeister wird von den wahlberechtigten Bürgern nach den Vorschriften des Kommunalwahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt gewählt. […][…]  

(3) Der Bürgermeister ist in das Ehrenbeamtenverhältnis auf Zeit zu berufen. […] Die besonderen Dienstpflichten nach den §§ 32 und 33 gelten für den Bürgermeister entsprechend.

(4) Der Bürgermeister ist Organ der Mitgliedsgemeinde. Er vertritt und repräsentiert die Mitgliedsgemeinde und ist Vorsitzender des Gemeinderates. […] Der Bürgermeister ist in der Regel Vorsitzender der Ausschüsse. […] Für die Rechtsstellung des Bürgermeisters im Gemeinderat und in den Ausschüssen gelten § 65 Abs. 2, 3 Satz 1 bis 7 und Abs. 4 entsprechend sowie § 65 Abs. 3 Satz 8 unter der Maßgabe von § 34.

(5) Der Bürgermeister kann an den Sitzungen des Verbandsgemeinderates und seiner Ausschüsse, in denen Belange seiner Mitgliedsgemeinde berührt sind, mit beratender Stimme teilnehmen. Die Pflichten nach § 33 gelten entsprechend; […].

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Bundesgerichtshof am 31. Januar 2023