Nach dem Satelliten-Abschuss durch Russland: OHB-Chef Marco Fuchs warnt vor neuem kalten Krieg im All und fordert ein internationales Regelwerk

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Bremen (ots) – Marco Fuchs, Vorstansvorsitzender des Raumfahrtunternehmens OHB SE und für Raumfahrt zuständiges Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes der Luft- und Raumfahrtindustrie BDLI, hat vor einem neuen kalten Krieg im All gewarnt und fordert internationale Regeln für den Umgang der Akteure im Orbit. Hintergrund ist, dass Russland kürzlich mit einer sogenannten Anti-Satelliten-Rakete einen ausgedienten Spionasatelliten abgeschossen und tausende gefährliche Trümmerteile hinterlassen hat. „Dass Russland diese Demonstration der Macht vollzieht, während seine eigenen Kosmonauten in der Raumstation ISS stationiert sind, war für mich eine böse Überraschung“, schreibt Fuchs in einer neuen Folge seiner Kolumne „Space Encounter“, die im Digitalmagazin der unternehmenseigenen Webseite veröffentlicht wurde.

„Ich war geschockt über diese Form des Säbelrasselns – die meiner Meinung nach gar nicht nötig gewesen wäre, denn dass Russland Anti-Satellitenwaffen besitzt, ist weithin bekannt“, so Fuchs weiter. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der internationalen Zusammenarbeit gerade in der Raumfahrt über diese geopolitischen Kraftmeiereien hinweggekommen wären. Schließlich haben inzwischen viele Akteure in der Raumfahrt erkannt, dass der Orbit gemeinsam benutzt werden muss – und weiterer Schrott dort die Aufgaben nur erschwert.“

Doch Russland habe offenbar bewusst die Botschaft in die Welt tragen wollen, dass es Satelliten abschießen kann – „und somit auch jeden Satelliten, den es treffen will“. Für ihn als Inhaber eines Raumfahrtunternehmens, dessen Kerngeschäft der Bau von Satelliten ist, sei das eine beunruhigende Vorstellung. „Und ich habe das Gefühl, dass ein neuer kalter Krieg im Weltall schon längst wieder im Gang ist“, warnt der Raumfahrtunternehmer aus Bremen. „Anders kann ich mir eine solche absichtsvolle Provokation nicht erklären. Die Folge ist, dass das die Infrastruktur im All ernsthaft bedrohen könnte. Dies hätte für das alltägliche Leben auf der Erde ernste Konsequenzen – vor allem für die Logistik, das Finanzsystem, die Energienetze. All diese Kernbereiche der globalen Wirtschaft wären gestört oder gar ausgeschaltet.“

Es sei deshalb höchste Zeit, dass sich die internationale Gemeinschaft auf Regeln für den Umgang mit der Infrastruktur im Weltraum einige. „Die Europäische Union ist dabei mit gutem Beispiel vorangegangen“, sagt Fuchs. Seit Anfang 2021 hat sich ein europäisches Konsortium aus 15 Unternehmen und Institutionen, darunter auch OHB, im Projekt Spaceways zusammengeschlossen. Die Aufgabe des Konsortiums besteht darin, Leitlinien und Empfehlungen zu entwickeln, wie sich die Akteure den Orbit möglichst nachhaltig und vor allem strukturiert teilen können. „Die EU spricht von Space Traffic Management“, erklärt Fuchs, „was den Kern des Themas sehr schön umschreibt: am Ende geht es wie in der Straßenverkehrsordnung darum, ein gemeinsames Verständnis von Regeln für den Verkehr im All zu finden.“ Die Arbeit des Konsortiums soll Mitte 2022 abgeschlossen sein.

Allerdings zeige der Fall des russischen Satellitenabschusses aber auch, dass ein nur von Europäern geschaffenes Regelwerk nicht reichen werde. „Für eine ausreichend große Sicherheit wird eine globale Vereinbarung nötig sein“, ist sich Fuchs sicher. „Ich hoffe sehr, dass sich die verschiedenen Akteure angesichts der vielversprechenden Profite durch künftige Satellitenanwendungen im All der EU-Initiative anschließen werden.“

Foto: Rund 8500 Tonnen Weltraumschrott umkreisen aktuell die Erde (c) OHB SE/ESA