Osteuropa-Experte Andreas Kossert: „Eine Willkommenskultur ist historisch eher die Ausnahme“

Veröffentlicht in: Buchtipp | 0

Hamburg (ots). Historiker Andreas Kossert zeigt sich im GesprĂ€ch mit ZEIT GESCHICHTE (ab morgen im Handel) von der großen Hilfsbereitschaft der Deutschen gegenĂŒber den FlĂŒchtenden aus der Ukraine nicht ĂŒberrascht: „Von vielen Ukrainern hören wir, dass sie möglichst bald in ihre Heimat zurĂŒckwollen, viele sind bereits zurĂŒckgekehrt. Und wir sind fast ein Nachbarland. Auch 2015 gab es zunĂ€chst eine Willkommenskultur in Deutschland, bevor die Stimmung kippte. Wie lange sie dieses Mal anhĂ€lt, mĂŒssen wir abwarten. Eine Willkommenskultur ist historisch eher die Ausnahme.“

Kossert, der 2020 das Buch „Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“ veröffentlicht hat, entscheidet sich bewusst fĂŒr den Begriff „FlĂŒchtlinge“: „Hinter dem Wort ‚GeflĂŒchtete‘ steckt die gut gemeinte Absicht, den vermeintlich abwertenden Terminus ‚FlĂŒchtling‘ zu ersetzen. Ich sehe darin jedoch eine Verharmlosung.“ Der Begriff „GeflĂŒchtete“ wird dem promovierten Historiker zufolge den von Flucht geprĂ€gten Schicksalen nicht gerecht, denn er „vermittelt etwas Abgeschlossenes, das in der Vergangenheit liegt. Aus jedem FlĂŒchtling wird im Handumdrehen ein GeflĂŒchteter – das bleibt angesichts der Dramatik von Fluchtbiografien leider Wunschdenken.“

Dies zeigt sich insbesondere an der ganz anderen Haltung, die Europa den ĂŒber das Mittelmeer FlĂŒchtenden entgegenbringt: „Es ist eine Schande fĂŒr Europa, was im Mittelmeer passiert. Ich hoffe, dass die Hilfsdynamik, die sich gerade in Osteuropa zeigt, zu einem generellen Umdenken fĂŒhrt, weil die Menschen verstehen: Flucht ist etwas, das uns alle betreffen kann.“ Kossert, der bei der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung tĂ€tig ist, bemerkt: „Wir dĂŒrfen nicht vergessen: Bis heute hĂ€ngen afghanische und syrische FlĂŒchtlinge an der Grenze von Belarus zu Polen fest, daran hat der Krieg in der Ukraine nichts geĂ€ndert.“

Die aktuelle Ausgabe von ZEIT GESCHICHTE (Heft 3/2022 mit dem Titel „Deutsche Auswanderer. Aufbruch in ein neues Leben – von 1680 bis heute“) erscheint am 24. Mai im Handel und ist auch hier erhĂ€ltlich.

Cover (c) DIE ZEIT