Kampfstoffe fĂŒr Russland? Hamburger Zoll durchsucht Firmen in Norddeutschland

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Am Dienstagmorgen, 30. August, haben Fahnder des Hamburger Zolls im Auftrag der Staatsanwaltschaft Stade die RÀumlichkeiten des Unternehmens Riol Chemie GmbH mit Sitz im niedersÀchsischen Lilienthal durchsucht sowie weitere Objekte, darunter ein Logistikunternehmen.

Nach Informationen von NDR, WDR und SĂŒddeutscher Zeitung gehen die Ermittler unter anderem dem Verdacht nach, ob die Firma gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen hat und ob Verantwortliche des Unternehmens in mehr als 30 FĂ€llen chemische Substanzen und Laborbedarf nach Russland ausgefĂŒhrt haben, ohne ĂŒber die entsprechenden Genehmigungen zu verfĂŒgen. Die Staatsanwaltschaft bestĂ€tigte gegenĂŒber NDR, WDR und SĂŒddeutscher Zeitung Durchsuchungen in insgesamt sieben Firmen und PrivatrĂ€umen. 50 EinsatzkrĂ€fte des Zolls seien wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz im Einsatz.

Unter den ausgefĂŒhrten Stoffen sollen sich demnach auch chemische und biologische Substanzen befinden, die als Grundstoffe fĂŒr die Herstellung von chemischen und biologischen Kampfstoffen genutzt werden können. Es handelt sich dabei um sogenannte „Dual-Use-GĂŒter“. Die fraglichen Stoffe könnten also auch fĂŒr legale Zwecke exportiert worden sein, etwa als VergleichsgrĂ¶ĂŸen fĂŒr die Lebensmittel- und Wasseranalytik.

Auch entsprechender Laborbedarf soll ĂŒber Jahre hinweg nach Russland geliefert worden sein, so der Verdacht der Staatsanwaltschaft. Ein Hauptabnehmer der Waren soll der Moskauer Chemie-GroßhĂ€ndler Khimmed gewesen sein, der russischen Medienberichten zufolge auch Speziallabors des russischen MilitĂ€rs und des Inlandsgeheimdienstes FSB beliefert.

Nach den bisherigen Ermittlungen glauben die Hamburger Zollfahnder, dass die Riol Chemie relativ kleine Mengen der Chemikalien nach Russland geliefert hat. Teilweise soll es sich jeweils nur um wenige Gramm oder sogar Milligramm gehandelt haben. Chemiewaffen-Experten erklĂ€rten gegenĂŒber NDR, WDR und SZ allerdings, dass auch Kleinstmengen gefĂ€hrlicher Chemikalien fĂŒr Waffenprogramme eine bedeutende Rolle spielen könnten, nĂ€mlich als so genannte Referenzsubstanzen. Mit diesen könne die QualitĂ€t der eigenen Produktion bestimmt werden.

Die deutschen Ermittler gehen darĂŒber hinaus dem Verdacht nach, dass die Riol Chemie GmbH möglicherweise auch Substanzen nach Russland geliefert hat, die zur Herstellung des Nervengifts Nowitschok verwendet werden können. Der hochgiftige Kampfstoff soll in den 1970er-Jahren in einem geheimen Chemiewaffenprogramm der Sowjetunion entwickelt worden sein, dessen Existenz der Kreml bis heute bestreitet.

Nowitschok war beim Giftanschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und dessen Tochter im britischen Salisbury im MĂ€rz 2018 eingesetzt worden. Auch der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny soll mit einer Variante des Kampfstoffes im August 2020 vergiftet worden sein.

Neben dem Zoll interessiert sich auch das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz (BfV) fĂŒr die Firma Riol Chemie GmbH. Die VerfassungsschĂŒtzer hatten das Unternehmen in den Blick genommen, nachdem die USA die Firma im Nachgang zum Anschlag auf Alexej Nawalny auf eine US-amerikanische Sanktionsliste aufgenommen hatten.

Neben der Riol Chemie GmbH wurden unter anderem auch ein Logistikunternehmen in Bremen, die GeschĂ€ftsrĂ€ume der R.R. Rhein Reserve GmbH in Konstanz, eine Steuerkanzlei sowie mehrere Privatwohnungen durchsucht. Auf Nachfrage wollten sich bisher weder Verantwortliche von Riol Chemie, R.R. Rhein Reserve noch von der russischen Khimmed zu den VorwĂŒrfen Ă€ußern.

Norddeutscher Rundfunk

Symbolfoto/Zoll