FDP-PrĂ€sidiumsmitglied und Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann gab der âWelt“ (Montag-Ausgabe) und âWelt Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Sabine Menkens:
Frage: Herr Buschmann, Sie haben nach Ihrem Amtsantritt die gröĂte familienrechtliche Reform der vergangenen Jahrzehnte angekĂŒndigt. Inzwischen liegen Ihre VorschlĂ€ge zur Reform von Abstammungsrecht, Kindschaftsrecht, Unterhaltsrecht und Namensrecht vor. Worin liegt die historische Dimension?
Buschmann: Wir haben im Familienrecht seit langer Zeit einen groĂen Reformstau. Denn die Gesellschaft hat sich verĂ€ndert, das Recht aber nicht. Die klassische Ehe und die Familie aus Vater, Mutter und Kindern sind weiterhin ein wunderbarer Weg zum GlĂŒck. Daneben gibt es heute aber auch viele andere Formen des Zusammenlebens: Paare ohne Trauschein, Trennungsfamilien, Patchworkfamilien, gleichgeschlechtliche Partnerschaften â auch mit Kindern. FĂŒr sie bietet das Recht noch keinen passenden Rahmen. Wir wollen das Familienrecht auf die Höhe der Zeit bringen. Nicht um der Gesellschaft etwas aufzudrĂ€ngen, sondern um das zu tun, was viele Experten seit Langem fordern: vernĂŒnftige und faire Regeln fĂŒr LebensentwĂŒrfe schaffen, die lĂ€ngst RealitĂ€t sind.
Frage: Wenn eine Familie auseinanderbricht und minderjĂ€hrige Trennungskinder zurĂŒckbleiben, ist das zunĂ€chst mal eine private Tragödie. Welche Verpflichtung ergibt sich fĂŒr den Staat, hier steuernd einzugreifen?
Buschmann: Es entspricht grundsĂ€tzlich dem Kindeswohl, Umgang mit beiden Elternteilen zu haben. Wir greifen hier natĂŒrlich auch nicht steuernd oder paternalistisch ein. Aber wenn die Eltern sich nicht zum Wohle des Kindes einigen können, mĂŒssen wir fĂŒr solche emotionalen und konfliktbelasteten Situationen im Interesse des Kindeswohls fĂŒr die entsprechenden rechtlichen Instrumente sorgen. Das ist ein Auftrag des Grundgesetzes.
Frage: Sie wollen vor allem das Wechselmodell stÀrker befördern, also die wechselseitige Betreuung durch beide Eltern nach der Trennung. Möglich ist das schon heute, was kann eine zusÀtzliche gesetzliche Verankerung hier bewirken?
Buschmann: Die ausdrĂŒckliche Regelung des Wechselmodells kann die Sichtbarkeit und Akzeptanz dieser Betreuungsform fördern. AuĂerdem: Viele kennen nur das symmetrische Wechselmodell, in dem das Kind von beiden Elternteilen exakt hĂ€lftig betreut wird. Diese Gestaltung ist selten und auch besonders anspruchsvoll. Es gibt aber auch das sogenannte asymmetrische Wechselmodell, in dem ein Partner zwar weniger betreut, aber dennoch einen substanziellen Anteil ĂŒbernimmt â etwa 30 oder 40 Prozent. Auch diese Möglichkeit soll als gleichberechtigte Alternative im Gesetz sichtbar gemacht werden. Denn auch dieses Modell kann im Interesse des Kindeswohls sein. Generell gilt: Das Wechselmodell setzt immer voraus, dass die ehemaligen Partner vernĂŒnftig miteinander umgehen und ihre Konflikte nicht auf dem RĂŒcken der Kinder austragen. Auch diese Voraussetzungen sollen Eingang ins Gesetz finden.
Frage: Relevant ist diese Reform vor allem im Zusammenspiel mit der Unterhaltsreform. Sie soll Unterhaltspflichtige, die sich zeitlich intensiver um ihre Kinder kĂŒmmern, stufenweise von Unterhaltszahlungen entlasten.
Buschmann: Heute haben oft beide Eltern das starke BedĂŒrfnis, sich in der Erziehung der Kinder zu engagieren â auch wenn die Partnerschaft auseinandergegangen ist. FĂŒr das Kindeswohl ist das meistens vorteilhaft. Das Unterhaltsrecht trĂ€gt dem leider noch nicht Rechnung. Es geht immer noch von der Formel aus: Einer bezahlt, einer betreut. Bei den Unterhaltszahlungen macht es oft keinen Unterschied, ob ein Elternteil einen substanziellen Anteil an der Erziehung leistet oder sich nur selten einbringt. Das ist ungerecht. Denn wer sich in der Erziehung seines Kindes einbringt, ĂŒbernimmt natĂŒrlich auch mehr Kosten. Wir wollen diese Ungerechtigkeit beseitigen. Wir haben dazu eine Formel entwickelt, die die jeweiligen Betreuungsanteile, das Einkommen und die Fixkosten berĂŒcksichtigt und gleichzeitig sicherstellt, dass das Kind ausreichend versorgt ist. Damit werden wir nicht nur mehr Fairness schaffen â sondern auch mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit. Es wird kĂŒnftig viel einfacher sein, den Unterhalt zu berechnen. Das ist ein guter Weg, um Streit frĂŒhzeitig beizulegen.
Frage: InteressenverbĂ€nde befĂŒrchten, dass zerstrittene Paare sich jetzt noch mehr um jede Stunde mehr oder weniger Betreuung streiten, weil sie finanzielle Folgen fĂŒrchten. Wie lĂ€sst sich dieses Dilemma auflösen?
Buschmann: Gutes Recht begegnet Konflikten dadurch, dass es transparent und verstĂ€ndlich ist. Das wollen wir leisten. Ein Streit um einzelne Stunden wird es nach unserem Modell gerade nicht geben â denn auf eine Stunde mehr oder weniger wird es nicht ankommen. Das Modell arbeitet mit Schwellenwerten und Pauschalen. Gerade auch dazu haben wir viele positive RĂŒckmeldungen bekommen.
Frage: Bei hĂ€uslicher Gewalt soll ein gemeinsames Sorgerecht âregelmĂ€Ăig nicht in Betracht kommen“ heiĂt es in Ihren VorschlĂ€gen. Wie groĂ ist hier der Handlungsbedarf?
Buschmann: Völlig klar ist: Ein Elternteil, der Gewalt gegen sein Kind ausĂŒbt, kann fĂŒr dieses Kind nicht die Verantwortung bekommen. Diese FĂ€lle sind eindeutig. Wir wollen jetzt klarstellen, dass auch Partnerschaftsgewalt in Sorge- und Umgangsverfahren berĂŒcksichtigt werden muss. Wenn es um den Umgang geht, also den tatsĂ€chlichen Kontakt zum Kind, darf das Umgangsrecht nicht zu einer konkreten GefĂ€hrdung von Leib und Leben eines Elternteils fĂŒhren.
Frage: Viele Kinder wachsen heute in Patchwork- und Stieffamilien auf, wenn ihre Eltern nach der Trennung neue Partner finden. Sie sollen ĂŒber das sogenannte kleine Sorgerecht eine rechtlich gesicherte Beziehung zu den Kindern bekommen. Warum ist das wichtig?
Buschmann: FĂŒr alle Eltern kann das kleine Sorgerecht nĂŒtzlich sein. Man kann es zum Beispiel GroĂeltern oder Nachbarn einrĂ€umen, die immer mal wieder bei der Betreuung einspringen, das Kind von der Kita abholen oder mit ihm zum Arzt gehen. Viele praktizieren das heute schon so. Denn Erziehung ist viel Arbeit, und Hilfe von vertrauenswĂŒrdigen Menschen ist vielen Eltern willkommen. Wir schaffen jetzt einen rechtssicheren Rahmen dafĂŒr. Interessant ist das kleine Sorgerecht auch fĂŒr Patchwork- und Regenbogenfamilien, wo die Partner der leiblichen und rechtlichen Eltern dauerhaft Verantwortung fĂŒr Kinder ĂŒbernehmen sollen.
Frage: Ist das der erste Schritt zur Mehrelternschaft?
Buschmann: Nein. Die Strukturprinzipien des Abstammungsrechts bleiben unangetastet: Kinder haben immer nur zwei rechtliche Eltern. Die Frau, die das Kind gebiert, ist immer die rechtliche Mutter. Und der rechtliche Vater bleibt regelmĂ€Ăig der Mann, der das Kind zeugt.
Frage: In einem Fall weichen Sie aber von diesem Prinzip ab, nÀmlich bei der lesbischen Mitmutterschaft.
Buschmann: In dieser Konstellation wollen wir schlicht die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Paare und ihrer Kinder abbauen. In einer Ehe zwischen Frau und Mann wird immer der Ehemann rechtlicher Vater eines in die Ehe geborenen Kindes â auch, wenn er nicht der leibliche Vater ist. Entsprechendes wollen wir gleichgeschlechtlichen Frauenpaaren ermöglichen. Sie mĂŒssen bisher einen aufwendigen Adoptionsprozess durchlaufen. Wenn der Mann, der seinen Samen spendet, damit in einer Ehe zwei Frauen ein Kind gezeugt wird, selbst rechtlicher Vater des Kindes sein möchte, soll auch das möglich sein: ĂŒber eine vor der Zeugung geschlossene Elternschaftsvereinbarung. Wir stĂ€rken hier die Autonomie der Menschen. Dagegen spricht auch nichts aus Sicht des Kindeswohls. Denn wir wissen, dass Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften genauso behĂŒtet aufwachsen wie in verschiedengeschlechtlichen.
Frage: GroĂe WiderstĂ€nde gibt es gegen ein anderes Vorhaben, an dem Sie beteiligt sind, dem Selbstbestimmungsgesetz fĂŒr eine leichtere Ănderung des Geschlechtseintrags. Haben Sie VerstĂ€ndnis dafĂŒr, dass der Gesetzesplan so viele Menschen verstört?
Buschmann: Wir leben in einer liberalen Demokratie. Jeder BĂŒrger hat das Grundrecht der Meinungsfreiheit und soll Kritik ĂŒben dĂŒrfen. Bei unserem Vorhaben geht es um ein anderes Grundrecht â das der Achtung der geschlechtlichen IdentitĂ€t, das das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat. Der Staat soll transgeschlechtliche Personen nicht lĂ€nger wie Kranke behandeln. Zugleich nimmt unser Gesetzentwurf die Interessen der gesamten Gesellschaft in den Blick. Die Verbesserung fĂŒr die Betroffenen wird nicht zulasten anderer gehen.
Frage: Warum sehen Sie keine gesetzliche Beratungspflicht fĂŒr MinderjĂ€hrige vor?
Buschmann: Es geht bei dem Gesetz nicht um geschlechtsangleichende Operationen oder andere medizinische MaĂnahmen. Es geht nur um die Frage des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister. FĂŒr junge Menschen, die diesen Eintrag Ă€ndern lassen wollen, stehen heute schon viele freiwillige Beratungsangebote bereit, wenn sie dies wollen. Die Pathologisierung von Transpersonen, diese Stigmatisierung als etwas UnnatĂŒrliches oder Krankes durch die Gesellschaft soll gerade enden.
Frage: Welchen Anteil haben solche gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen am derzeitigen Umfragetief der Ampel-Parteien?
Buschmann: Diese Frage mag fĂŒr Polit-Strategen spannend sein. Meine Sorge gilt anderen Fragen: Warum entwickeln gesellschaftspolitische Debatten eine solche emotionale Hitze und werden teils in unerbittlicher SchĂ€rfe gefĂŒhrt? Unsere VorschlĂ€ge sind im internationalen Vergleich nicht ungewöhnlich. Wir nehmen auch niemandem etwas weg, wenn wir Benachteiligungen abbauen. Trotzdem war der generelle Debattenton zuletzt teilweise schrill. Ich mag die kontroverse politische Debatte, bei der mit Argumenten scharf gerungen wird. NatĂŒrlich muss man nicht mit allem einverstanden sein â bloĂ nicht! Aber ich wĂŒrde mir fĂŒr unsere Debattenkultur wieder etwas mehr Sachlichkeit wĂŒnschen.
Frage: Sind Sie zuversichtlich, die Kritiker noch ĂŒberzeugen zu können?
Buschmann: Es gibt von dem groĂen Fritz Stern ein groĂartiges Buch: âKulturpessimismus als politische Gefahr“. Darin entwickelt Stern eine These: Wenn Gesellschaften zu der Ăberzeugung gelangen, dass alles den Bach heruntergeht und man nichts mehr zu verlieren hat, dann werden sie anfĂ€llig fĂŒr totalitĂ€re Vorstellungen. Das kann niemand wollen. Daher glaube ich, dass wir öfter auch mal einen Moment gedanklich einen Schritt zurĂŒcktreten und uns eines klarmachen sollten: Wir feiern in diesem Jahr 75 Jahre Grundgesetz. Mit den Institutionen des Grundgesetzes haben wir als Land bislang alle Herausforderungen bewĂ€ltigt â und zwar besser als in allen totalitĂ€ren Staaten dieser Welt. Das wird uns auch in Zukunft gelingen.
Foto: Marco Buschmann © Laurence Chaperon