WISSING-Interview: MobilitÀt ist eine Frage von Freiheit und Teilhabe

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Der Bundesminister fĂŒr Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing (Foto) gab der „Welt“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Matthias Kamann und Philipp Vetter.

Frage: Herr Wissing, in Landtagswahlen spielt Verkehrspolitik derzeit eine große Rolle, aber weder GrĂŒne noch FDP profitieren. Was machen beide Parteien da falsch?

Wissing: Wir haben sehr viel Lob fĂŒr unsere HartnĂ€ckigkeit bei den E-Fuels-Verhandlungen mit BrĂŒssel bekommen. Viele BĂŒrger schreiben mir, dass sie erleichtert sind, dass ihre MobilitĂ€tsbedĂŒrfnisse gesehen und ernst genommen werden, insofern sind wir in der Verkehrspolitik auf dem richtigen Kurs. Ich bin sehr sicher, dass sich diese Politik auch langfristig auszahlen wird. Verkehrspolitik wird zunehmend ein wahlentscheidendes Thema.

Frage: Also mehr Wahlkampfthemen wie die â€žBrötchentaste“, die in Bremen zum Verdruss der GrĂŒnen kostenloses Kurzzeit-Parken ermöglicht?

Wissing: Verkehrspolitik betrifft uns alle, und sie wird auch bei den nĂ€chsten Wahlen eine entscheidende Rolle spielen, weil die Menschen auf MobilitĂ€t angewiesen sind. Ein passendes MobilitĂ€tsangebot zu haben, ist Freiheit, Teilhabe und auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. Das treibt die Menschen natĂŒrlich um. Ohne MobilitĂ€t sind sie abgehĂ€ngt. Das gilt ĂŒbrigens nicht nur fĂŒr den Personenverkehr: Die EngpĂ€sse im Autobahnnetz beseitigen wir auch und vor allem fĂŒr den StraßengĂŒterverkehr. Davon sind die BĂŒrger in der Stadt genauso betroffen wie die auf dem Land. Auch die Supermarkt-Regale in Berlin-Mitte werden gefĂŒllt mit Produkten, die mit Lkws ĂŒber Autobahnen transportiert werden.

Frage: Warum werden Verkehrsdebatten so polarisierend gefĂŒhrt?

Wissing: Weil MobilitĂ€t unseren Alltag ganz unmittelbar prĂ€gt. Mir ist es darum wichtig, die Themen aus Sicht der BĂŒrger anzugehen, pragmatische Lösungen zu finden, die technologieoffen sind und unsere Gesellschaft klimaneutral mobil halten. Ich habe das Deutschlandticket vorgeschlagen, um den ÖPNV zu stĂ€rken – ein Riesenerfolg. Das Auto ist aber genauso wichtig. Ich gebe Ihnen recht: Es ist nicht hilfreich, dass in der Öffentlichkeit die Dinge so polarisiert werden. Wir mĂŒssen aufpassen, dass diese Debatte nicht in einen Stadt-Land-Konflikt mĂŒndet. Davor kann ich nur warnen. Wir brauchen gleichwertige LebensverhĂ€ltnisse und das bedeutet, dass die MobilitĂ€t im lĂ€ndlichen Raum genauso gesichert sein muss wie im urbanen Bereich.

Frage: Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, Klimaziele der einzelnen Sektoren nicht mehr so eng zu sehen. War’s das jetzt mit zusĂ€tzlichem Klimaschutz im Verkehr?

Wissing: Wir haben von Anfang an konsequent eine Politik verfolgt, die auf CO₂-Einsparungen abzielt und Anreize setzt, ohne die Menschen zu bevormunden. Deshalb sind wir seit meiner AmtsĂŒbernahme dabei, viele Dinge umzusetzen, die den Verkehr klimaneutral machen: zum Beispiel das Deutschlandticket, der Masterplan Ladeinfrastruktur II, Förderung von Wasserstofftechnologie, TechnologieneutralitĂ€t durch Nutzung von synthetischen Kraftstoffen. Nach dem Koalitionsausschuss arbeiten wir jetzt an der Umsetzung einer ganzen Reihe von zusĂ€tzlichen Maßnahmen, zum Beispiel an einer CO₂-abhĂ€ngigen Lkw-Maut. Das alles setzen wir um, ohne dabei die MobilitĂ€t einzuschrĂ€nken. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Menschen mitnehmen mĂŒssen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen.

Frage: Legen Sie noch ein Klimaschutzsofortprogramm vor, nachdem die Ziele im Verkehr verfehlt wurden?

Wissing: Wir wollen unsere Klimaziele erreichen. Dazu wird der Verkehr seinen Beitrag leisten. Wir sind uns in der Bundesregierung einig, in Zukunft dabei nicht mehr jeden Sektor einzeln zu betrachten, sondern die gesamten Emissionen in Deutschland. DafĂŒr wird der Klimaschutzminister zeitnah ein neues Klimaschutzgesetz und ein sektorĂŒbergreifendes Klimaschutzprogramm vorlegen, zu dem die Fachminister ihre BeitrĂ€ge bereits geleistet haben. Sollte das nicht schnell genug kommen, werden wir selbstverstĂ€ndlich ein Klimaschutzsofortprogramm vorlegen, um die neun Millionen Tonnen CO₂ zu kompensieren, die im vergangenen Jahr zu viel von uns allen im Verkehrssektor emittiert wurden. UnabhĂ€ngig davon arbeiten wir weiter kontinuierlich an Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr.

Frage: Sie haben dafĂŒr gekĂ€mpft, dass die EU-Kommission einen Vorschlag fĂŒr die Zulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor nach 2035 vorlegt, die ausschließlich E-Fuels tanken. FĂŒr wann rechnen Sie mit dem Vorschlag?

Wissing: Auf jeden Fall in diesem Jahr. Wir wollen, dass die Fahrzeugkategorie „E-Fuels only“ schnell geschaffen wird. Man braucht verschiedene technologische Möglichkeiten, um fĂŒr jeden ein klimaneutrales MobilitĂ€tsangebot machen zu können.

Frage: E-Fuels werden knapp und teuer bleiben und fĂŒr die Bestandsflotte gebraucht. Warum verkĂ€mpfen Sie sich so fĂŒr „E-Fuels only“-Neufahrzeuge?

Wissing: Es geht um die Frage, ob wir Technologien ausschließen, deren Zukunftspotenzial wir heute noch gar nicht kennen. Wenn E-Fuels so knapp blieben, wĂŒrde die Bestandsflotte weiter mit fossilen Kraftstoffen betankt, weil die dann gĂŒnstiger wĂ€ren. Deshalb mĂŒssen wir die Rahmenbedingungen dafĂŒr setzen, dass E-Fuels eben nicht knapp und teuer bleiben. Heute weiß auch keiner, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis diese Kraftstoffe in Zukunft am Markt angeboten werden. Wir senden ein klares Signal an den Markt, dass wir E-Fuels brauchen.

Frage: Man könnte ĂŒber den CO₂-Preis Anreize setzen, E-Fuels zu tanken, obwohl sie knapp und teuer sind.

Wissing: Am Ende mĂŒssen wir bezahlbare, klimaneutrale MobilitĂ€tsangebote haben. Wir dĂŒrfen die Menschen nicht ĂŒberfordern. Sie fahren ja nicht alle zum Spaß durch die Gegend, sie mĂŒssen zum Beispiel zur Arbeit, sich versorgen.

Frage: Wie beurteilen Sie das Tarif-Hickhack zwischen der Deutschen Bahn AG und der Eisenbahnergewerkschaft EVG?

Wissing: In Deutschland besteht Tarifautonomie, der Respekt davor gebietet es, dass ich mich zurĂŒckhalte. Denn ich vertrete nicht die DB AG, sondern den EigentĂŒmer, und der ist nicht Tarifpartner. Ich wĂŒnsche mir aber im Interesse der FahrgĂ€ste, dass so schnell wie möglich eine Einigung erzielt wird und es nicht zu weiteren Störungen des Betriebs kommt.

Frage: Ist es nicht fatal, dass beim Staatskonzern DB laut Tariftabelle deutlich weniger als der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird?

Wissing: Auch dafĂŒr sind die Tarifparteien zustĂ€ndig. Aber grundsĂ€tzlich gilt, dass wir im MobilitĂ€ts- und Logistikbereich attraktivere Arbeitsbedingungen benötigen, weil wir dort schon heute unter FachkrĂ€ftemangel leiden.

Frage: Die DB AG hat trotz Verlusten und UnpĂŒnktlichkeit rund 30.000 leitenden Angestellten PrĂ€mien in einer Gesamthöhe von mehreren hundert Millionen Euro ausgezahlt. Ist das auch nur Sache der Tarifparteien?

Wissing: Die Auszahlung der Bonuszahlungen an FĂŒhrungskrĂ€fte unterhalb der Vorstandsebene der DB AG obliegt dem Konzern. Über die Zielerreichung, die Höhe und die Auszahlung der variablen VergĂŒtung der VorstĂ€nde der DB AG und deren Tochtergesellschaften beschließt der jeweilige Aufsichtsrat.

Frage: Was Sie sagen, bestĂ€tigt den Bundesrechnungshof: Der kritisiert, dass der Bund als DB-AlleineigentĂŒmer zu passiv sei.

Wissing: Das betrifft die Politik meiner VorgĂ€nger. Wir planen fĂŒr Januar 2024 eine Bahnreform fĂŒr den Bereich, in dem wir eine stĂ€rkere Einflussnahme des EigentĂŒmers fĂŒr erforderlich halten: beim Netz. DafĂŒr wollen wir eine gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte schaffen.

Frage: Können Sie den Zeitplan halten? Bisher gibt es nicht einmal Eckpunkte fĂŒr die nötigen GesetzesĂ€nderungen.

Wissing: Wir sind im Zeitplan und haben keinen Grund, an dessen Einhaltung zu zweifeln. Wir wissen, wohin wir wollen.

Frage: Werden Sie die nötigen GesetzesĂ€nderungen noch vor der Sommerpause vorlegen?

Wissing: Wie gesagt, liegen wir in Sachen Verschmelzung der DB Station&Service AG auf die DB Netz AG gut im Zeitplan. Auch die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung zu begleitenden Maßnahmen fĂŒr eine verbesserte Steuerung der neuen Gesellschaft durch den Bund sowie Wege zur Vereinfachung der Finanzierungsstruktur sind auf einem guten Weg.

Frage: Im Koalitionsausschuss wurde vereinbart, dass die Bahn bis 2027 fĂŒr das Netz 45 Milliarden Euro erhalten soll. Aber nur etwa die HĂ€lfte lĂ€sst sich ĂŒber die Lkw-Maut finanzieren. Woher kommt der Rest?

Wissing: Wir waren uns im Koalitionsausschuss einig, dass die Schiene einen Investitionshochlauf braucht. Wie das nötige Geld im Haushalt verankert wird, können wir natĂŒrlich nur im Kontext des gesamten Bundeshaushalts entscheiden. Der Haushalt 2024 muss das Signal aussenden, dass die Investitionen auch lĂ€ngerfristig steigen, denn nur dann baut die Baubranche ihre KapazitĂ€ten so aus, dass in den Folgejahren mehr AuftrĂ€ge abgearbeitet werden können.

Frage: Die Ampel hat eine Planungsbeschleunigung bei Autobahn-EngpĂ€ssen beschlossen. Doch einige LĂ€nder mit grĂŒnen Verkehrsministern lehnen das fĂŒr manche Vorhaben ab. Sind diese Projekte damit tot?

Wissing: Ich hatte mir eine Beschleunigung fĂŒr mehr Projekte gewĂŒnscht, aber das wollten die GrĂŒnen nicht. VerstĂ€ndigt haben wir uns auf die Beseitigung der gutachterlich nachgewiesenen EngpĂ€sse im Einvernehmen mit den LĂ€ndern, und nun mĂŒssen sich die LĂ€nder entscheiden, ob sie das wollen oder ob sie an jenen Stellen den Dauerstau organisieren möchten. Gebaut werden jene Projekte auf jeden Fall, ohne Planungsbeschleunigung werden sie aber langsamer verwirklicht. Eine notwendige Engpassbeseitigung zu verzögern, ist eine Verkehrspolitik, die sich rĂ€chen wird, weil sie durch die Behinderung der dringend nötigen GĂŒtertransporte erhebliche wirtschaftliche SchĂ€den verursacht und damit auch Auswirkungen auf unsere ArbeitsplĂ€tze hat.

Frage: Welche Einsparungen bieten Sie Ihrem Parteifreund Christian Lindner an, der als Finanzminister zur Haushaltskonsolidierung aufruft?

Wissing: Ich leite das Ministerium, das in die Zukunft investiert, und was ich ausgeben will, ist gut angelegt, weil auf dieser Grundlage kĂŒnftige Steuereinnahmen erwirtschaftet werden. Wenn im Verkehrsressort gespart wird, ist die Kasse kĂŒnftig leerer. Es ist eben ein fundamentaler Unterschied, ob man an konsumtiven Ausgaben spart – darĂŒber nachzudenken lohnt sich immer –, oder ob man an investiven Ausgaben spart. Aber natĂŒrlich werden wir auch unsere Haushaltstitel durchforsten und ĂŒberlegen, wie wir durch Synergien oder Digitalisierung der AblĂ€ufe sparen können.

Foto © Laurence Chaperon