LINDNER-Interview: Mit Leistung Wohlstand sichern – Dupliziert

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Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab „Bild am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.

Frage: Herr Lindner, die Ampelkoalition geht nach zwei Jahren in die Halbzeitpause. Sind Sie froh, dass angesichts des Dauerstreits endlich die Sommerferien kommen?

Lindner: Es kostet Kraft, ist aber wichtig, dass die FDP fĂŒr wirtschaftliche Vernunft und die Freiheit der Menschen streitet. FĂŒr eine Pause gibt es aber keinen Anlass. Im Gegenteil, die Wirtschaftslage fordert Taten.

Frage: Was droht uns?

Lindner: Viele Jahre hat die Politik die WettbewerbsfĂ€higkeit vernachlĂ€ssigt. Jetzt stehen wir an einer Weggabelung: entweder schleichender Abstieg oder wir legen uns ins Zeug, um in der Weltspitze zu bleiben. Deshalb habe ich etwa das Wachstumschancengesetz vorgelegt, mit dem wir Steueranreize fĂŒr Investitionen in Technologie und Forschung geben. Das wird noch nicht reichen, wir mĂŒssen auch mehr bĂŒrokratischen Ballast abwerfen. GrundsĂ€tzlich treibt mich eine MentalitĂ€tsfrage um. Manche trĂ€umen vom Ende des Wachstums oder der 4-Tage-Woche. Ohne Lust auf Leistung und Respekt vor unternehmerischem Risiko werden wir aber Wohlstand und soziale Sicherheit nicht behalten.

Frage: Was sagen Sie den Gewerkschaften, die fĂŒr eine Vier-Tage-Woche kĂ€mpfen?

Lindner: Nur vier Tage zu arbeiten, ist eine freie Entscheidung. Man kann dann aber nicht Lohn fĂŒr fĂŒnf fordern. Angesichts des FachkrĂ€ftemangels mĂŒssen wir im Gegenteil alles unternehmen, um zum Beispiel ungewollte Teilzeit durch bessere Kinderbetreuung zu beenden und den spĂ€teren Renteneintritt attraktiv zu machen. Es gibt kein Beispiel in der Geschichte, dass eine Gesellschaft ihren Wohlstand gesichert hat, indem sie weniger gearbeitet hat.

Frage: In den Umfragen sinken alle Koalitionsparteien. Ihre FDP liegt mit 7 Prozent deutlich unter dem Wahlergebnis von 11,5 Prozent. Nur die AfD wird immer stÀrker. Woran liegt das?

Lindner: Man muss die WĂ€hler der AfD und die Partei getrennt betrachten. Die AfD an der Macht stĂŒnde nicht nur fĂŒr eine antiliberale Gesellschaft, sondern auch fĂŒr ein Verarmungsprogramm. Sie will uns ja aus der EU, unserem grĂ¶ĂŸten Markt, treiben.

Frage: Aber warum legt die AfD gerade so zu?

Lindner: Hier sind wir bei den WĂ€hlern der AfD. Und deren Motive muss man ernst nehmen. Viele beklagen eine falsche Einwanderungspolitik. FachkrĂ€ften, die wir brauchen, haben wir zum Beispiel die Einwanderung in den Arbeitsmarkt zu schwer gemacht. IrregulĂ€ren Einwanderern in unseren Sozialstaat haben wir es dagegen zu leicht gemacht. Das kehrt diese Bundesregierung um. Das zu Recht kritisierte Management der Migration wird also besser, aber fĂŒr Fremdenfeindlichkeit gibt es keine Toleranz.

Frage: Nach der Sommerpause soll das umstrittene Heizungsgesetz verabschiedet werden. Wird das noch mal verÀndert?

Lindner: Das Gesetz ist komplett erneuert und deshalb nicht mehr umstritten. Das Heizungsgesetz ist offen fĂŒr alle Technologien und zeitlich realistisch. Die unnötigen Verbote und unrealistischen Vorgaben sind draußen.

Frage: Sie sind jetzt seit fast genau einem Jahr wieder verheiratet. Profitieren Sie auch vom Ehegattensplitting?

Lindner: Nein.

Frage: Die SPD will das Ehegattensplitting abschaffen. Sind Sie dazu gesprÀchsbereit?

Lindner: Nein. Die Menschen in der Mitte zahlen genug. Die haben Entlastung verdient. Die SPD bereitet ihren Wahlkampf fĂŒr 2025 vor, der offenbar nach links fĂŒhrt. Schade, dass es dadurch wieder Streit gibt.

Frage: Aber ist das 1958 eingefĂŒhrte Ehegattensplitting, das die Einverdiener-Ehe bevorzugt, wirklich noch zeitgemĂ€ĂŸ?

Lindner: Ich teile Ihre Beschreibung nicht. Wenn ein arbeitendes Paar mit zwei Kindern einmal 2500 und einmal 1000 Euro verdient, dann wĂŒrde die gemeinsame Steuerlast ohne Splitting um 50 Prozent steigen. Sind das die Menschen, die man mehr belasten sollte? SPD und GrĂŒne wollen das, ich schließe das aus.

Frage: Warum halten Sie diese Förderung fĂŒr gerecht?

Lindner: Es ist keine Förderung, sondern ein aus dem Grundgesetz abgeleitetes Recht. Wer heiratet, bildet eine Gemeinschaft mit Pflichten. Man schuldet sich etwa gegenseitig Unterhalt. Es ist nur fair, dass der Staat diese Wirtschaftsgemeinschaft zusammen besteuert. Wie ein Paar sich intern organisiert, ist deren Sache. Ich verstehe nicht, dass Linke immer vorgeben wollen, wie Menschen ihr Leben gestalten.

Frage: Mit der Streichung des Elterngeldes fĂŒr Besserverdiener sind Sie einverstanden?

Lindner: Das ist der Vorschlag der Familienministerin. Ich hĂ€tte Alternativideen, wenn die Kollegin von den GrĂŒnen mich fragt.

Frage: Streit gibt es zwischen Ihnen und der Familienministerin um die Milliarden fĂŒr die Kindergrundsicherung. Warum wollen Sie bedĂŒrftige Familien nicht stĂ€rker unterstĂŒtzen?

Lindner: Mir geht es um zwei Punkte. Wir planen Milliarden mehr ein. Unstreitig ist etwa, dass der Kinderzuschlag fĂŒr Familien, die vom Arbeitseinkommen nicht gut leben können, automatisch ausgezahlt wird. Wer aber noch mehr Mittel fĂŒr höhere Geldleistungen einsetzen will, muss sagen, wo dafĂŒr im Staat gespart wird. Denn Steuererhöhungen und Umgehen der Schuldenbremse sind ausgeschlossen. Das gilt nicht nur hier, sondern generell.

Frage: Und der zweite Punkt?

Lindner: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Einwanderung nach Deutschland. Nach den Zahlen meines Ministeriums lebt gut die HĂ€lfte der betroffenen Kinder in einer Familie mit Migrationshintergrund. Diese Fakten muss man analysieren. Ich frage mich, wie man am besten hilft. Es gibt Grenzen der Wirksamkeit von Geldtransfers. Wirksamer kann die bessere Sprachförderung und Arbeitsmarktintegration der Eltern sein. Vielleicht helfen Investitionen in Kitas und Schulen mehr, als Eltern Geld zu ĂŒberweisen? Es muss außerdem immer ein finanzieller Abstand verbleiben zwischen denjenigen, die arbeiten, und den anderen, die nicht arbeiten.

Frage: Deutschland hat beim Nato-Gipfel in dieser Woche versprochen, kĂŒnftig zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts fĂŒr Verteidigung auszugeben. Das bedeutet ab 2028, wenn das Sondervermögen Bundeswehr aufgebraucht ist, rund 25 Milliarden Euro zusĂ€tzlich. Wo soll das Geld herkommen?

Lindner: Wirtschaftswachstum. Wir haben keine Alternative. Denn KĂŒrzen beim Sozialen gefĂ€hrdet Zusammenhalt, Steuererhöhungen ruinieren die Wirtschaft, Schulden befeuern die Inflation. Wir mĂŒssen also alles tun, was die Wirtschaft stĂ€rkt, und alle Politik unterlassen, die sie bremst.

Frage: Verkehrsminister Volker Wissing prĂŒft RegressansprĂŒche gegen seinen VorgĂ€nger Andreas Scheuer wegen des Maut-Desasters von 243 Millionen Euro. UnterstĂŒtzt der Finanzminister das Vorhaben?

Lindner: Ja, aber meine Erwartungen sind gering. Die AuslÀnder-Maut war ein CSU-Projekt, um die Stammtische zu gewinnen. Die WÀhler sollten das Desaster also politisch bewerten.

Foto © Christian Lindner