WISSING-Interview: Wir haben das Ziel, im Verkehr bis 2045 klimaneutral zu sein

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FDP-PrĂ€sidiumsmitglied und Bundesminister fĂŒr Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing (Foto) gab „ntv.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Volker Petersen und Hubertus Volmer.

Frage: Die Koalition hat die Änderung des Klimaschutzgesetzes noch immer nicht auf den Weg gebracht, obwohl Sie das Ende MĂ€rz im 30-stĂŒndigen Koalitionsausschuss so beschlossen hatten. BefĂŒrchten Sie, dass Sie nun doch noch ein Klimaschutz-Sofortprogramm auflegen mĂŒssen?

Wissing: FĂŒr die Vorlage des Klimaschutzgesetzes und des Klimaschutzprogramms ist das Klimaschutzministerium zustĂ€ndig. Wir haben aber kein Problem damit, ein Sofortprogramm fĂŒr den Verkehr vorzulegen. Wir bringen ohnehin zahlreiche Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr auf den Weg oder haben das bereits getan, zum Beispiel die CO2-bezogene LKW-Maut. Im vergangenen Jahr hat Deutschland seine Klimaschutzziele im Übrigen erreicht. Da ist es den BĂŒrgerinnen und BĂŒrger nicht vermittelbar, ihnen trotzdem einschrĂ€nkende Maßnahmen im Verkehr aufzuerlegen.

Frage: Deshalb wollen Sie die sogenannten Sektorziele lockern, die konkrete Einsparziele fĂŒr einzelne Bereiche festlegen. Zum Beispiel fĂŒr Ihren Bereich, den Verkehr. Das kann man auch als Lizenz zum Sich-zurĂŒck-lehnen verstehen.

Wissing: Nein, ganz und gar nicht. Wir wollen die Klimaschutzziele einhalten. Wenn wir sie erreichen, wollen wir dem Land aber nicht wegen interner Verrechnungen zusĂ€tzliche Sanktionen auferlegen mĂŒssen. Das ist alles. Wir werden die Sektoren weiterhin einzeln im Blick behalten und wir haben weiterhin das Ziel, im Verkehr bis 2045 klimaneutral zu sein. Große Herausforderungen haben wir aber nicht nur im Verkehrsbereich. Im Energiesektor sind die Emissionen in den vergangenen Jahren angestiegen.

Frage: Das liegt an den Kohlekraftwerken, die aus der Reserve wieder ans Netz gegangen sind.

Wissing: Ja, aber die können wir ja auch nicht einfach wieder abschalten. Nach dem Coronajahr 2021 hat sich auch im Verkehr die Lage 2022 wieder normalisiert. Dennoch sehen Sie in der Statistik beim Verkehr fast eine SeitwĂ€rtsbewegung beim CO2-Ausstoß. In den kommenden Jahren werden wir außerdem immer mehr Elektroautos haben. Sie werden dann in den nĂ€chsten Jahren sehen, dass die Emissionen im Verkehr heruntergehen. Wichtig ist, dass wir das auch im Energiebereich schaffen. Ich unterstĂŒtze Robert Habeck deshalb, wo ich kann.

Frage: Ist das jetzt nicht genau das Mit-dem-Finger-auf-andere-zeigen, das ohne die geplante Lockerung der Sektorziele nicht möglich wÀre?

Wissing: Mein Ziel ist eine realistische Betrachtung der Fakten, kein Mit-dem-Finger-auf andere-zeigen. Wenn aber andere in unsere Richtung zeigen, stelle ich die Fakten klar.

Frage: Sie meinen das benachbarte Ministerium fĂŒr Wirtschaft und Klimaschutz.

Wissing: Ich sehe das mit großer Gelassenheit, denn wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Bei uns werden die CO2-Emissionen jetzt zunehmend sinken. Daran habe ich keine Zweifel und daran arbeite ich seit meiner AmtsĂŒbernahme intensiv. Nur achte ich dabei darauf, dass die Menschen mobil bleiben und die Logistik weiter funktioniert.

Frage: Um CO2, aber auch um Feinstaub geht es auch bei der geplanten Abgasnorm Euro 7, die ziemlich streng ist. Handelt es sich dabei bereits um ein verkapptes Verbrennerverbot?

Wissing: In jedem Fall ist es eine Regulierung, die Klimaschutz verlangsamt und MobilitĂ€t verteuert. Wenn die Autoindustrie gezwungen wird, erhebliche Summen in Verbrennungsmotoren zu investieren, fehlt das Geld bei der ElektromobilitĂ€t und anderen klimaneutralen MobilitĂ€tsangeboten. Deswegen halten viele Verkehrsminister in Europa diese Regulierung fĂŒr einen fatalen Fehler. Ich auch. Die Autoindustrie sollte dieses Geld besser in die E-MobilitĂ€t oder andere klimaneutrale MobilitĂ€tsangebote stecken. Die Hersteller zu Investitionen in fossile Verbrennungsmotoren zu zwingen, wĂ€hrend wir eigentlich aus den fossilen Kraftstoffen aussteigen wollen, ist nicht sinnvoll.

Frage: Aber diese PlÀne sind seit Jahren bekannt.

Wissing: Ja, natĂŒrlich. Und die deutsche Automobilindustrie sagt mir, dass sie die Euro-7-Auflagen auch erfĂŒllen könnte, aber eben nur mit hohem finanziellem Aufwand. Sie kann das Geld dann nicht an anderer Stelle investieren.

Frage: Bei Euro 7 geht es nicht nur um CO2, sondern auch um Feinstaub und damit gesundheitliche Fragen.

Wissing: Die Nachteile fĂŒr den Klimaschutz ĂŒberwiegen deutlich. Die Unternehmen sollten jetzt den Transformationsprozess beschleunigen und nicht gezwungen werden, wenig sinnvolle Investitionen zu finanzieren.

Frage: Umweltministerin Steffi Lemke von den GrĂŒnen befĂŒrwortet Euro 7 dagegen entschieden. Zieht hier der nĂ€chste große Streit der Ampelkoalition auf?

Wissing: Wir sind uns einig, dass wir klimafreundliche Lösungen fĂŒr den Verkehr brauchen. Wenn Euro 7 aber so kĂ€me, stĂŒnde weniger Geld fĂŒr den Klimaschutz zur VerfĂŒgung. Gleichzeitig wĂŒrden die Fahrzeuge fĂŒr alle teurer. Und das in Zeiten, in denen die Menschen ohnehin schon viel investieren mĂŒssen und wir eine hohe Inflation haben. Angesichts dieser Situation sollte der Staat die MobilitĂ€t nicht kĂŒnstlich noch teurer machen. Ich mache mir Gedanken darĂŒber, wie wir die Menschen mitnehmen in diesem Transformationsprozess. Wie können wir dafĂŒr sorgen, dass MobilitĂ€t klimafreundlich und dabei bezahlbar bleibt? Euro 7 macht das alles nur schwerer.

Frage: Also wird es die neue Abgasnorm nicht geben?

Wissing: Wir sollten dafĂŒr sorgen, dass mehr Geld in klimaneutrale Antriebe und bezahlbare MobilitĂ€tsangebote investiert wird. Wenn eine so große Investition wie Euro 7 einen so kleinen Vorteil bringt, liegt es auf der Hand, die Finger davon zu lassen. Deshalb lehne ich das ab.

Frage: Ab 2035 dĂŒrfen Verbrenner nur noch zugelassen werden, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt werden können. Wie soll das eigentlich kontrolliert werden? FĂŒr den Motor sind synthetische und fossile Kraftstoffe doch das Gleiche.

Wissing: Wir schaffen eine neue Fahrzeugkategorie, das E-fuel-Only-Vehicle. Die werden gerade auf europÀischer Ebene regulatorisch definiert.

Frage: Aber es könnte doch sein, dass sich jemand so ein Auto kauft und trotzdem fossiles Benzin tankt.

Wissing: Nein, das wird nicht gehen. Diese Fahrzeuge könnten laut der Branche beispielsweise mit Sensoren ausgestattet werden, die erkennen, wenn fossiler Kraftstoff betankt wird. Dann fahren sie nicht. Das ist so wie bei einem Diesel, der nur mit AdBlue zugelassen ist: Ist der AdBlue-Tank leer, bleibt das Fahrzeug stehen. Die von der EU-Kommission festgelegte technische Lösung wird verpflichtend sein. An den Details wird gerade gearbeitet.

Frage: Wie stellen Sie sich die MobilitÀt im lÀndlichen Raum vor? Weiter wie bisher, aber mit E-Fuels?

Wissing: Auch auf dem Land brauchen die Leute die Möglichkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, sie brauchen FlexibilitĂ€t und ein MobilitĂ€tsangebot, das in ihren Alltag passt. Deshalb spielt der Individualverkehr im lĂ€ndlichen Raum auch in Zukunft eine sehr große Rolle. Und wenn die Fahrzeuge klimaneutral betrieben werden, ist das auch kein Problem.

Frage: Mittlerweile sind 10 Millionen Deutschlandtickets verkauft worden. Ist der Preis von 49 Euro damit dauerhaft zu halten?

Wissing: Je mehr Menschen das Ticket kaufen, desto einfacher wird es, den Preis attraktiv zu halten. Jedenfalls ist es ein Riesenerfolg. Das mĂŒssen Sie sich mal vor Augen fĂŒhren: Bisher gab es in Deutschland 11 Millionen Abonnenten von Monatskarten. Nach dem ersten GĂŒltigkeitsmonat haben wir laut Branche bereits schon 10 Millionen Nutzer des Deutschlandtickets. Darunter sind 700.000 Neukunden, die vorher so gut wie nie mit dem ÖPNV gefahren sind und 4,3 Millionen Neuabonnentinnen und Neuabonnenten, die bislang mit Einzeltickets oder Zeitkarten ohne Abo gefahren sind. Die restlichen 5 Millionen sind auf das Deutschlandticket umgestiegen. Genau das war unser Ziel: Wir wollen, dass der Einstieg in den ÖPNV mit dem Deutschlandticket so einfach wie möglich ist – ohne verwirrende Tarife, die sich von Verkehrsverbund zu Verkehrsverbund unterscheiden, ohne Portemonnaie oder Kreditkarte.

Frage: Kritiker bemÀngeln, dass der lÀndliche Raum nichts vom Deutschlandticket hat.

Wissing: Das Gegenteil ist der Fall. Die StĂ€rkung des multimodalen Verkehrs ist fĂŒr den lĂ€ndlichen Raum eine große Chance.

Frage: Das mĂŒssen Sie erklĂ€ren.

Wissing: Multimodaler Verkehr heißt, mehrere Angebote zu nutzen, zum Beispiel mit dem Auto oder auch mit dem Rad losfahren und dann in ein ÖPNV-Angebot umsteigen. Deshalb richtet sich das Deutschlandticket ausdrĂŒcklich auch an alle, die ein Auto haben. Denn die Verbindung von Auto und ÖPNV ist gerade im lĂ€ndlichen Raum ein realistischer und guter Hebel fĂŒr mehr klimafreundlichen Verkehr. Es ist nicht möglich, im lĂ€ndlichen Raum eine so kurze Taktung und so kurze Fahrzeiten wie in den GroßstĂ€dten anzubieten, die auch nur annĂ€hernd an die FlexibilitĂ€t des Individualverkehrs herankommt. Wenn Sie aber jeden Tag nur noch mit dem Auto zum nĂ€chsten Bahnhof fahren und von dort vielleicht die wesentlich lĂ€ngere Strecke mit dem ÖPNV pendeln, dann sparen Sie mit dem Deutschlandticket nicht nur Geld, sondern auch sehr viel CO2. Deshalb ist das Deutschlandticket auch fĂŒr den lĂ€ndlichen Raums Ă€ußerst attraktiv.

Frage: Sie haben gesagt, dass Ihnen am Deutschlandticket wichtig ist, dass es ohne Portemonnaie und ohne Kreditkarte funktioniert, also digital. Was haben Sie gegen analoge Fahrkarten?

Wissing: Ich habe etwas gegen Papiertickets, weil sie uns keine Informationen liefern. Ein digitales Ticket – das sie ĂŒbrigens auch als Chipkarte erwerben können, wenn sie kein Handy nutzen wollen oder können – wird kĂŒnftig dabei helfen, die Verkehre besser zu planen. Außerdem ist der Unterhalt von Fahrkartenautomaten aufwĂ€ndig und sehr teuer. ArbeitskrĂ€fte und Geld können viel sinnvoller eingesetzt werden.

Frage: Das werden Àltere Menschen nicht so gut finden.

Wissing: Wenn SeniorenverbĂ€nde mir sagen, dass die Automaten erhalten werden mĂŒssen, dann antworte ich, dass sie ihr Deutschlandticket auch als Chipkarte beziehen können. Das ist auch in ihrem Sinne, da auf der Basis der Daten, die damit kĂŒnftig erhoben werden können, auch das Angebot vor Ort verbessert werden kann. Außerdem können die ArbeitskrĂ€fte, die fĂŒr den Unterhalt dieser Automaten eingesetzt wurden, an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden. Auch das ist bei dem aktuellen Personalmangel ein wichtiger Aspekt.

Man muss abwĂ€gen, was möglich ist, und man muss ehrlich mit den Leuten reden. Diese Fahrkartenautomaten sind nicht nur aufwĂ€ndig, sondern auch sehr teuer. In anderen LĂ€ndern ist es selbstverstĂ€ndlich, auch KleinstbetrĂ€ge mit Karte oder per Smartphone zu bezahlen – völlig unabhĂ€ngig vom Alter. Ich konnte es kaum glauben, als mir gesagt wurde, dass sich die Vertriebskosten fĂŒr Tickets in Deutschland auf zwei Milliarden Euro belaufen! Das Geld sollten wir besser in das Angebot investieren.

Foto © Laurence Chaperon