Universitätsmedizin Magdeburg eröffnet Früherkennungs- und Therapiezentrum für Psychosen

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Magdeburg. Die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Erwachsenenalters unter der Leitung von Prof. Johann Steiner erweitert ihren Ambulanzbereich um ein Früherkennungs-und Therapiezentrum (FeTZ) für Psychosen. Starttermin ist der 15.03.2023. Dieses Projekt wird gemeinsam mit der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters (KKJP) unter der Leitung von Prof. Hans-Henning Flechtner durchgeführt. Die Universitätsmedizin schließt damit eine Versorgungslücke in Sachsen-Anhalt.

Prof. Steiner sagt: „Das Auftreten einer Psychose-Erkrankung kann das Leben junger Menschen völlig aus der Bahn werfen, so dass sie in der Ausbildung, beruflichen Entwicklung und in der Gestaltung partnerschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen „stecken bleiben“. Sie fühlen sich dann von ihren Altersgenossen “abgehängt“, von der Gesellschaft ausgeschlossen und das Selbstwertgefühl sinkt.

Das ist schlimm, muss aber nicht sein, denn inzwischen gibt es ausgezeichnete Möglichkeiten zur Vorbeugung von Psychose-Erkrankungen, die z.B. an den Universitäten Köln, Bern und Düsseldorf entwickelt wurden. Es liegt mir am Herzen, mit dem FeTZ-Magdeburg diese modernen Angebote auch für Sachsen-Anhalt bereitzustellen. Durch ausführliche Gespräche mit unseren Expert*innen können Warnsymptome besonders früh erkannt werden. Jungen Menschen mit erhöhtem Psychose-Risiko bieten wir eine individuell zugeschnittene vorbeugende Psychotherapie an.“

Prof. Flechtner ergänzt: „Gerade im Jugendalter und am Übergang ins Erwachsenenalter, ist es besonders wichtig, möglichst frühzeitig zu wissen, ob ein Risiko für eine Psychoseerkrankung bestehen kann. Psychoseerkrankungen in diesem frühen Alter zeichnen sich leider durch einen oft schweren Verlauf und eine ungünstige Prognose aus. Hier kommt also der Früherkennung eine wichtige Rolle zu, denn schnelle Behandlung und eine frühzeitige Betreuung bilden die beste Grundlage für die Verhinderung von ungünstigen Verläufen. Die gemeinsame Betreuung dieser Patienten durch Erwachsenenpsychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie am FeTZ-Magdeburg ist hierfür ein besonders wichtiger Ansatz.“

Die Zielgruppe sind Jugendliche ab 16 Jahren und Erwachsene bis 40 Jahren, die bereits erste psychische Symptome aufweisen und sich Hilfe holen möchten. Das sind insbesondere Menschen, die Veränderungen ihres Fühlens, Denkens, der Wahrnehmung oder des Verhaltens erleben. Diese Herangehensweise ist vielversprechend, weil sich in den letzten Jahren der Früherkennungsforschung eine gute Abgrenzbarkeit der einzelnen Erkrankungsphasen vor der Manifestation einer psychotischen Erkrankung herausstellen ließ.

Wie bei vielen Krankheitsbildern ist das rechtzeitige Erkennen von Psychosen bzw. deren Warnzeichen wichtig für den weiteren Krankheitsverlauf. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass akute Psychosen „ungünstig für das Gehirn“ sind, weil sowohl kognitive als auch neuronale Mechanismen strukturell und funktionell Schaden nehmen können. Das Risiko ist umso größer, je länger Psychose-Erkrankungen unbehandelt bleiben.

Das Experten-Team, das die Versorgung in diesem Zentrum übernehmen wird, besteht aus einem ärztlich-psychologischen Team der Erwachsenen- und Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Magdeburg. Dieses Team wurde 2022 durch intensive Schulungsveranstaltungen in der Früherkennung von Vorboten-Symptomen für Psychosen und in der spezialisierten Psychotherapie der Betroffenen bestens weitergebildet.

Die Früherkennung bedarf eines umfangreichen klinischen Spezialwissens und ist sehr zeitintensiv (mehrstündige Interviews mit verschiedenen strukturierten und halbstrukturierten diagnostischen Instrumenten). Jungen Menschen mit erhöhtem Psychose-Risiko bieten wir eine vorbeugende Psychotherapie an. Gegebenenfalls schlagen wir ergänzend auch ein niedrig dosiertes modernes und gut verträgliches Medikament vor, wenn Psychotherapie alleine nicht reicht.

Hintergrundinformation:

Etwa 1,5 Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an psychotischen Störungen, was für die Betroffenen oft zu einem „Bruch im Lebenslauf“ führt. Dieser geht mit großen Beeinträchtigungen ihrer Lebensgestaltung und ihres sozialen und beruflichen Lebens einher.

Die Frühsymptome entwickeln sich häufig schleichend und können bereits im Jugendalter beginnen. Bis zur Entwicklung einer voll ausgeprägten psychotischen Störung kann es bis zu sechs Jahre dauern.

Je früher die Erkrankung festgestellt und vorbeugend behandelt wird, desto günstiger kann sich der Krankheitsverlauf entwickeln.

In Bezug auf die Dauer des unerkannten Hochrisikostadiums als auch in der Anzahl der durchschnittlichen Hilfesuche-Kontakte bildet Deutschland das Schlusslicht in Europa. Die Zuweisung zu den wenigen spezialisierten Zentren erfolgt gar nicht oder zu spät.

So vielfältig wie das Krankheitsbild bei Psychosen, sind auch die Warnsymptome. Diese treten schon Monate vor Ausbruch der Erkrankung auf. Welche Symptome können bei Menschen mit erhöhtem Psychose Risiko neu auftreten?

1. Leistungsknick in Schule / Ausbildung / Studium aus unklarer Ursache (insbesondere, wenn nahe Verwandte an einer Psychose-Erkrankung leiden).

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2. ungewöhnliche Ideen und Eindrücke der Betroffenen:

• vertraut anderen nicht mehr (Misstrauen) oder fühlt sich z.B. verfolgt, bedroht;

• Blicke, Gesten, Aussagen anderer Menschen werden vermehrt auf sich selbst bezogen;

• Eindruck, dass eigene Gedanken von anderen gelesen werden können oder “von außen gemacht“ sind;

• Beschäftigung mit magischen Themen, wie z.B. Geister, Hexerei oder Geheimbünden, außerirdischem Leben, obwohl Familie oder Freund:innen dies sehr ungewöhnlich finden.

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3. Wahrnehmungsabweichungen oder Halluzinationen:

• Das Hören von Stimmen oder dass der eigene Name gerufen wird, obwohl niemand da war oder andere Personen dies nicht hören können;

• Das unerwartete Spüren der Anwesenheit von etwas/ jemand, das / der nicht zu sehen ist;

• Das Sehen von Dingen, die andere nicht sehen.

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4. neue ungewöhnliche Denk- und Sprechweise: Rückmeldung von anderen, dass …

• Die betroffene Person von einem zum anderen Gedanken springt oder sich in Details verliert;

• Die betroffene Person Drumherum redet und nicht auf den Punkt kommt.

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5. neue selbsterlebte Störungen im Denken und der Aufmerksamkeit:

• Probleme, die Aufmerksamkeit auf mehrere Dinge gleichzeitig zu richten (“Multi-Tasking“ funktioniert nicht mehr), so dass die betroffene Person nur das eine oder das andere machen kann;

• Der Eindruck, nicht mehr so flüssig und präzise wie gewöhnlich zu sprechen oder länger nachdenken zu müssen, um die passenden Wörter zu finden;

• Das häufigere Verlieren des gedanklichen roten Fadens oder ein zeitweiliges Abreißen der Gedanken;

• Verlust der Kontrolle über die eigenen Gedanken, so dass manchmal eine Vielzahl von Gedanken durch den Kopf schießt, die völlig durcheinander sind.

Oft sind diese Beschwerden begleitet von Depressionen, Ängsten und Zwangssymptomen, dies ist jedoch nicht diagnostisch wegweisend.

Ärztlich-psychologische Kolleg:innen können Patient:innen mit solchen Symptomen gerne im FeTZ-Magdeburg anmelden. Das FeTZ erstellt einen standardisierten Befundbericht mit eigener diagnostischen Einschätzung und Therapie-Empfehlung.

Kontakt:

Telefon: (mit AB) (0391-6725448)

Fax: (0391-6714236)

E-Mail: fetz@med.ovgu.de

Website: www.fetz-magdeburg.de

(mit Anmeldebogen für ärztlich-psychologische Behandler sowie Anmeldebogen für Betroffene)

Foto: Team des FeTZ-Magdeburg; v.l.: M. Wiegel, E. Incesoy, S. Weigand, S. Seidenbecher, C. Rehe, G. Meyer-Lotz, Prof. Dr. Steiner, Prof. Dr. H.-H. Flechtner, Dr. A. Strehlow, Dr. Dr. A. Riedel

(c) Fotografin: Melitta Schubert/ UMMD