Die in Istanbul gestarteten ersten bilateralen GesprĂ€che seit 2022 ĂŒber einen Weg zu einer Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine finden ohne deren PrĂ€sidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj statt. Putin war im Gegensatz zu Selenskyj nicht in die TĂŒrkei gereist. Gleichzeitig erhöht Europa den Druck. Nach dem Gipfel in Kiew mit Frankreichs PrĂ€sidenten Emmanuel Macron und den Regierungschefs von GroĂbritannien und Polen, Keir Starmer und Donald Tusk, und Bundeskanzler Friedrich Merz drohen die vier mit neuen EU-Sanktionen, sollte kein Fortschritt erzielt werden. Gibt es neue Hoffnung auf ein Ende der KĂ€mpfe? Entscheidet das VerhĂ€ltnis von US-PrĂ€sident Donald Trump zu Putin ĂŒber das Schicksal der Ukraine? Und welche Rolle ĂŒbernimmt Deutschland â mit einer Bundeswehr, die Merz zur âkonventionell stĂ€rksten Armee Europasâ machen will â kĂŒnftig in Europas Sicherheitsordnung?
Norbert Röttgen
Der CDU-AuĂenpolitiker Norbert Röttgen hĂ€lt Putins Verhandlungsofferte fĂŒr ein Ausweichmanöver, lobt jedoch die ukrainische und europĂ€ische Reaktion darauf. Dass man sich sofort auf das Angebot einlieĂ, habe Putin zum ersten Mal seit Jahren ernsthaft unter Druck gesetzt, da deutlich werde, dass dieser seinen eigenen Vorschlag nicht befolgt. Aus dieser Situation heraus hofft Röttgen, Trump auf Europas Seite ziehen zu können. FĂŒr Deutschlands VerteidigungsfĂ€higkeit gilt unterdessen aus Röttgens Sicht: âWir wollen und mĂŒssen militĂ€risch stark werden, um den Frieden wiederherzustellen und Sicherheit zu gewĂ€hrleistenâ. Dieser Zusammenhang mĂŒsse immer unterstrichen werden, so der AuĂenpolitiker.
Claudia Major
Die Politikwissenschaftlerin ist seit MĂ€rz diesen Jahres VizeprĂ€sidentin fĂŒr Transatlantische Sicherheitsinitiativen beim German Marshall Fund. Sie bezweifelt, dass Russland aktuell zu echten Friedensverhandlungen bereit ist, da Putin seine politischen Ziele nicht aufgegeben habe. Die russischen GesprĂ€chsangebote sieht sie als taktisches Mittel zur Verzögerung und Spaltung des Westens. Major fordert ein sofortiges europĂ€isches Aktionsprogramm zur StĂ€rkung der Ukraine sowie der eigenen VerteidigungsfĂ€higkeit. Sanktionen allein reichten nicht aus. Sie warnt zudem vor der unberechenbaren Haltung der USA unter Donald Trump und betont die Bedeutung eines geschlossenen transatlantischen Auftretens.
RĂŒdiger von Fritsch
Der ehemalige Botschafter in Moskau warnt vor einer ĂberschĂ€tzung symbolischer Treffen und betont, dass Russland seine Kriegsziele unverĂ€ndert verfolgt. Er kritisiert Trumps zynische, von GeschĂ€ftsinteressen geleitete Haltung und sieht die Gefahr, dass die Ukraine im Falle eines Deals zwischen Trump und Putin geopfert werden könnte. Die russische FĂŒhrung ist aus seiner Sicht zu keinerlei echten Kompromissen bereit, sondern verfolgt weiterhin das Ziel eines Sieges und der SchwĂ€chung des Westens. Nachdem der Diplomat von Fritsch im Sommer 2019 in den Ruhestand verabschiedet wurde, ist er als Partner bei „Berlin Global Advisors“, einer Unternehmensberatung fĂŒr Geopolitik und Government Affairs, tĂ€tig.
Heribert Prantl
Der Kolumnist und ehemalige Chefredakteur der SĂŒddeutschen Zeitung verteidigt die BemĂŒhungen der europĂ€ischen Staatschefs, einen neuen Dialog zwischen den Konfliktparteien zu initiieren. Er sieht das Treffen in Istanbul als einen möglichen Beginn eines Friedensprozesses und begrĂŒĂt die GesprĂ€che. Prantl fordert ein AbrĂŒsten bei der Rhetorik gegenĂŒber Russland und plĂ€diert fĂŒr eine âFriedenstĂŒchtigkeitâ der deutschen Politik und Gesellschaft. AnnĂ€herung beginne zuerst mit einer ausgestreckten Hand und die mĂŒsse der Westen trotz aller Verurteilung von Putins Aggression immer noch beibehalten.